… sie zu beschreiben dagegen sehr!“ Und mit dieser Aussage könnte dieser Beitrag über Autismus wahrscheinlich auch schon enden und hätte all das gesagt was ich zu diesem Thema sagen kann. Damit würde ich aber an der Situation vieler Autisten nichts ändern. Eine Situation die, von außen betrachtet, eigentlich recht paradox erscheint. Es ist in der nichtautistischen Welt bekannt, dass Autisten Probleme haben Emotionen bei anderen Menschen zuverlässig und intuitiv zu erkennen. Viele Menschen ziehen dann daraus den Rückschluss, dass Autisten auch keine Emotionen empfinden können. Diesen Menschen sei der nachfolgende Beitrag ans Herz gelegt.

Alles Emotionen oder was?

Wenn man von und über Emotionen spricht geht es vorrangig um das „Fühlen“. Meine Vermutung: Für Nichtaustisten scheint das Fühlen von Emotionen auch sehr eng mit dem Ausdrücken und  Beschreiben der Gefühle zusammen zu hängen. Es passiert automatisch, durchweg intuitiv und ist untrennbar miteinander verbunden. Da ist es verständlich, dass einem Autist der Probleme hat Gefühle zu beschreiben dann auch unterstellt wird: Du kannst sie nicht beschreiben weil Du sie nicht hast. Aber ist das richtig? Ich denke nicht! Eines sollte jedem Menschen klar sein: Keine Gefühle gibt es nicht. Oder anders gesagt: Wer nichts mehr fühlt ist mit an großer Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tot. Wie kommt es aber nun das diese, für Nichtautisten automatisch ablaufende, Verknüpfung zwischen fühlen und ausdrücken bei vielen Autisten nicht richtig funktioniert? Für die Fachleute unter den Lesern: Ich unterscheide hier bewusst nicht stringent zwischen Emotionen und den Gefühlen, also  der Wahrnehmung von Emotionen.

Emotionen und Gefühle

Als ich mir in letzter Zeit intensiv überlegt habe wie ich dieses Thema beschrieben und angehen kann, ist mir selbst klar geworden: Ich muss mir überlegen was Gefühle und Emotionen überhaupt sind. Eine Aufgabe die auf den ersten Blick leicht zu sein scheint mich aber doch eine ganze Weile beschäftigt hat. Was ist eine Emotion? Und was ein Gefühl?

Wissenschaftlich gesehen ist eine Emotion eine psychologische und physiologische Reaktion auf eine bewusste oder unbewusste Wahrnehmung einer Situation oder eines Objektes. Einfach ausgedrückt: Wir nehmen etwas bewusst oder unbewusst wahr und reagieren sowohl körperlich als auch mit unserer Psyche darauf. Als Gefühl bezeichnet man dann die „gefühlte“ Wahrnehmung dieser Reaktionen. Liegt in den Begriffen „Wahrnehmung“ und „körperliche Reaktion“ vielleicht die Lösung der Frage über das Gefühlsleben von Autisten? Ich denke hier kann man zumindest mit einer Erklärung ansetzen.

Was fühlt man eigentlich?

Wie ich anfangs schon schrieb: Keine Gefühle haben gibt es nicht. Zumindest kann ich es mir, anscheinend im Unterschied zu anderen Menschen, nicht vorstellen. Nachfolgend kann ich nur meine Gefühlswelt, den Umfang und die Intensität beschreiben. Dies kann sicher auch das Empfinden anderer Autisten erklären, muss es aber nicht. Ich möchte damit zumindest aber aufzeigen das es sich bei der Annahme“ Autisten haben keine Gefühle“ um einen großen Irrtum handelt.

Wer meine Texte kennt weiß, dass ich zwar immer betone nicht für alle Autisten zu schreiben aber dennoch versuche möglichst allgemeingültig und wenig auf mich bezogen das zu beschreiben worüber ich gerade schreibe. Dies geht beim Thema Gefühle nur begrenzt, als Mensch der sich selbst als recht Alexithym bezeichnet muss ich diese klare Trennung vornehmen.

Damit ist auch schon das erste Stichwort im Zusammenhang mit Gefühlen und Emotionen gefallen: Alexithymie oder die sog. Gefühlsblindheit. Ein Mensch mit Alexithymie ist nicht oder nur schwer in der Lage seine Gefühle und Emotionen wahrzunehmen und/oder zu beschreiben. Damit wird aber auch klar: Er hat Gefühle!

Wie kann man sich das nun vorstellen? Ein Durchschnittsmensch hat eine sehr facettenreiche Gefühlswelt. Er unterscheidet die Emotionen, also die physischen und psychischen Reaktionen seines Körpers, die er wahrnimmt sehr feingliedrig und differenziert. Wenn man einen solchen Menschen nach der Anzahl seiner Emotionen und Gefühle fragt käme er wohl aus dem Aufzählen nicht heraus. Jeder ist eingeladen das einmal zu probieren! Bei einem alexithymen Menschen sind diese Vielfalt und der Facettenreichtum erheblich oder stark eingeschränkt. Bei mir ist es oftmals so dass ich nur Grundfacetten von Gefühlen empfinde. Für mich gibt es vorwiegend: Positiv, Neutral, Negativ und als vierte Facette: Leer. Das mag für einige nun komisch klingen, gerade weil ich auch immer betone: Keine Gefühle gibt es nicht. Wie kann man sich dann leer fühlen? Ist das „nichts fühlen“? Nein. Leer ist ein besonderes Gefühl. Es lässt sich nicht gut beschreiben und auch nicht in positiv oder negativ einordnen, die beste Beschreibung dafür ist einfach „Leer“.

Wenn man sich nun betrachtet das es Menschen mit einem solchen eingeschränkten Gefühlsspektrum gibt ist es durchaus nicht verwunderlich, wenn sie auf eine Frage „Was empfindest/fühlst Du gerade?“ nicht wirklich antworten können. Als Antwort kommt dann wohl in vielen Fällen „Ich weiß es nicht!“ oder „Ich lebe!“. Um das zu verstehen muss man sich eine weitere Facette der Wahrnehmung von Gefühlen anschauen: Die körperlichen Empfindungen!

Viele Autisten berichten davon, dass sie Schmerzen im Vergleich zu nichtautistischen Menschen anders wahrnehmen und auch ein anderes Körpergefühl haben.  Betrachtet man nun das Gefühle die Wahrnehmung u.a. von körperlichen Reaktionen sind, ist es wahrscheinlich leichter zu verstehen, dass wenn diese körperliche Wahrnehmung eine andere ist auch das daraus resultierende Gefühl ein anderes sein wird.  Zumindest nimmt man die Reaktion des Körpers als solche wahr, dass dahinter etwas stecken könnte was andere als Gefühl bezeichnen ist vielen Autisten fremd. Um ein Beispiel zu nennen: Wut wird oft mit „Ich habe Wut im Bauch“ bezeichnet. Das liegt wohl daran, dass eines der körperlichen Anzeichen für die Emotion Wut ein verändertes Gefühl im Bauchbereich ist. Autisten nehmen das sehr wohl wahr, sie verbinden bloß eben dieses veränderte Bauchgefühl nicht immer mit einer Emotion. Es ist für einige schlicht und einfach ein Bauchschmerz oder eine Form von Übelkeit. Verliebtsein ist auch so ein Fall: Für die einen sind es die Schmetterlinge im Bauch die sie klar als Liebe deuten, für die anderen unter Umständen etwas das sie zu dem gänzlich unromantischen Kommentar „Mir ist schlecht!“ verleitet. Etwas das wohl jeder in einem solchen Moment als klare Abfuhr bezeichnen würde. Körperliche Symptome von Emotionen sind wirklich verwirrend!

Wie sage ich es meinem ….?

Nun ist es schon problematisch genug, wenn man die Gefühlsfacetten die andere empfinden nicht selbst empfinden kann. Aber wie kommuniziert man nun etwas das man offensichtlich anders wahrnimmt? Und können Menschen die diesen Facettenreichtum an Gefühlen kennen überhaupt nachvollziehen das jemand diese Vielfalt nicht hat?

Es ist sehr schwer, Empfindungen in für die Außenwelt normale und adäquate Worte zu packen ohne das man, siehe das Beispiel der Verliebtheit, von einem Fettnäpfchen in das nächste tritt. Selbst wenn man sich darüber bewusst ist, dass Gefühle nicht nur aus psychischen sondern vorwiegend aus körperlichen Anzeichen bestehen, ist es schwer diese angemessen zu vermitteln. Was für andere also wie selbstverständlich ein Gefühl von Angst ist, ist für jemand anderen ein komisches Gefühl im Bauch. Der bewusste Transfer von körperlichen Anzeichen in eine „virtuelle“ Gefühlswelt ist etwas das sehr schwer ist. Wie unterscheidet man ob man Bauchschmerzen hat oder ob es Angst oder eines der vielen anderen Gefühlen mit „Gefühlen im Bauch“ ist? Beschreibt man schlichtweg das was man fühlt kommt eine recht körperliche und nüchterne Beschreibung heraus. Und genau das wird von der Umwelt oft als Gefühlskalt oder Emotionslos empfunden und beschrieben. Das es ganz und gar nicht gefühlskalt und emotionslos ist kommt vielen nicht in den Sinn. Ich denke hier fehlt schlichtweg das passende Vokabular um das was man zweifellos fühlt auch ausdrücken zu können. Es fehlt aber auch der Weg zur passenden Vokabel. Ein Gefühl ist ein sehr komplexer und tief im Menschen verankerter Prozess. Diese ganzen Puzzleteile zu einer Einheit zusammenzusetzen dürfte das sein was vielen Autisten schwer fällt. Sie haben die Puzzelteile, sie können es nur nicht zu einem, für die Außenwelt stimmigen, Bild zusammensetzen.

Wer meine Blogbeiträge kennt wird merken dass mir dieses Thema zum einen sehr am Herzen liegt, zum anderen aber schwer fällt in Worte zu fassen. Für mich sind viele Gefühle und alles was damit zusammenhängt eben auch ein großes Puzzle zu dem ich alle Teile besitze das ich aber nicht wirklich lösen kann.

Wie man an diesem Beitrag sieht: Es sind nicht die Gefühle und Emotionen die einem Autisten fehlen, es ist seine Wahrnehmung der Emotionen und sein Körperempfinden die es ihm schwer machen Gefühle zu differenzieren und adäquat darüber zu reden. Ich möchte sogar einen Schritt weiter gehen und allen zwei Gedankenanstöße zum Ende dieses Beitrages mitgeben:

Ich sage von mir immer: Ich habe vielleicht ein eingeschränktes Portfolio an Gefühlen die ich definieren und beschreiben kann. Aber als Ausgleich dafür empfinde ich dafür die Gefühle die ich wahrnehme um ein Vielfaches stärker. Das Ergebnis, rein mathematisch gesehen, ist das Gleiche.

Wenn man dies nun weiterdenkt: Ist das vielleicht die Erklärung dafür, dass ich oftmals von anderen Menschen als extrem empathisch empfunden werde? Ich kann nicht die Tiefe und Facettenvielfalt an Gefühlen erspüren, aber ich spüre intensiver und damit kann ich unter Umständen schon Gefühle aufnehmen die andere, aufgrund der geringen Intensität, noch versuchen einzusortieren und zu definieren. Ist es so wichtig zu wissen WAS genau ein anderer Mensch fühlt? Oder reicht es nicht auch zu wissen ob es jemandem gut oder schlecht geht damit man ihm helfen kann?

Vielleicht sind Autisten viel empathischer als man bisher dachte! Und manchmal ist eine einfache aber intensive Struktur viel hilfreicher als sich in Feinheiten zu verzetteln.