Dieser offene Brief ensteht aus einem Thread bei Twitter. Dieser ist hier zu finden: Thread zu Ella Schön und darf wie dieser Blogbeitrag auch gerne geteilt und verbreitet werden.

Der Stream zum Film kann in der ZDF Mediathek angesehen werden. Im offenen Brief beziehe ich mich auf einzelne Stellen mit entsprechender ungefährer Zeitmarke.

Ella Schön Folge 7

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte Ihnen ein Anliegen vorbringen. Es geht um die Folge 7 der Filmreihe Ella Schön mit dem Titel „Land unter“.

In der neusten ausgestrahlten Folge von Ella Schön wurde das sog. Stimming wie ein roter Faden durch den ganzen Film thematisiert. Hierbei kam es sachlich und dramaturgisch zu groben Fehlern. Stimming, also die Selbststimmulation von Wahrnehmungskanälen, dient der Wahrnehmungseinschränkung, Beruhigung und dem Stressabbau. Dies ist eine unbewusst(!) ablaufende Körperreaktion die jeder Mensch hat. Stimming kann auch bewusst,  zum Beispiel präventiv gegen Überlastungen, ausgeführt werden und hat dann ähnliche Effekte. Bei Autist:innen ist es häufig zu beobachten da wir aufgrund der verstärkten Wahrnehmung sehr viel Stress und Belastung haben. Ein Stimming das jeder schon beobachten konnte ist zum Beispiel das Wippen mit einem Bein, das Drehen mit dem Finger in den Haaren oder das Klicken mit einem Kugelschreiber. Was genau als Stimming angestoßen wird ist individuell. Wie wurde Stimming nun in der Folge von Ella Schön dargestellt? Hinweis: Da genau diese Fachvokabel benutzt und genannt wurde muss sich das Gezeigte an den Fakten zu Stimming messen.

Bei ca Minute 21:30 „berichtet“ die Protagonistin das sie Stimming macht. Schon mit der ersten Darstellung wird Stimming negativ konotiert.

1) Es ist ihr unangenehm

2) Eine vollkommen menschliche Reaktion auf Belastung wird als „spezielle Lage“ bezeichnet und damit nicht inklusiv sondern exkludierend dargestellt.

3) Stimming wird nachfolgend als „zwanghaft“ und damit pathologisierend bezeichnet. Es erhöhe sogar den Druck.

Ab ca Minute 57:10 sieht man wie die Protagonistin mit allen Mitteln versucht angebliches Stimming zu unterdrücken.

Sie liegt starr und krampfhaft am Boden, hat sich die Finger an den Händen zusammen gebunden bzw. mit Klebeband verklebt. Es entsteht der Eindruck eines Anfalles.

Stimming lässt sich, wenn man es bewusst wahrnimmt, recht schnell unterdrücken. Mit Folgen. Denn wenn der Stress nicht durch Stimming abgebaut werden kann kommt es zu Überlastungen die erheblich sind. Auf keinen Fall muss man gegen das Stimming kämpfen! Die Protagonistin erwähnt in dieser Szene das sie sich stationär einweisen lassen möchte. Stimming wird also auch hier zum einen komplett sachlich falsch dargestellt und zum anderen derart stigmatisiert das man deswegen in eine geschlossene Psychiatrie müsse.

Herzliche Willkommen bei der Geburt eines Stigmas über Autismus mit dem in Zukunft mehr als 1 Mio Autist:innen in Deutschland kämpfen müssen.

Es geht aber noch weiter. Ab Minute 63:55 erklärt die Protagonistin die vorherige Szene. Zum besseren Verständnis hier ein Transskript des Gesagten:

Der Fachausdruck heißt Stimming. Man sagt auch Zwang oder Stereotyp. Umgangssprachlich ist es ein Tic. Eine ständig sich wiederholende Bewegungsabfolge, Töne, Wörter wiederkehrend. Mit dem Ziel mich zu beruhigen.

Hier sind grobe sachliche Fehler gemacht worden.

1) Stimming ist keine Stereotypie. Das wäre der Definition nach eine Handlung ohne erkennbaren Sinn. Der Sinn ist eindeutig und jedes Handeln eines Menschen hat einen Sinn für diesen.

2) Zwänge kennzeichnen sich durch einen Druck diese bewusst (!) auszuführen. Unterbindet man eine Zwangshandlung entsteht ein enormer Leidensdruck. Dies ist bei Stimming nicht der Fall. Wiederum eine Pathologisierung des Vorgangs.

3) Ein Tic ist wiederum etwas anderes. Tics sind nicht zwanghaft, sondern Impulse zu verbalen oder motorischen Handlungen die ab einer gewissen Stärke nicht mehr unterdrückt werden können. Man kennt Tics zum Beispiel als Merkmal des Tourette Syndroms. Stimming ist kein Tic.

Kurz nach dieser Szene erklärt die Protagonistin das erstmalige Entstehen des „Stimmings“ im Alter von 11 Jahren durch ein traumatisches Erlebnis. Stimming entsteht weder durch ein Erlebnis noch ist es eine Traumafolge. Wiederum eine sachlich komplett falsche Darstellung der Bedeutung eines Fachbegriffes. Aufgrund dieser erheblichen Fehldarstellungen und pathologisierenden Darstellungen haben Autist:innen und Angehörige bei der verantwortlichen Produktionsfirma Dreamtool Entertainment protestiert. Diese reagierte mit Ausblenden der Tweets und seit heute mit Blocken der Accounts die diese Kritik vorbringen. . Dies ist nicht akzeptabel und ein Versuch die Anliegen behinderter Menschen bezüglich der öffentlichen medialen Darstellung ihrer Behinderung zu unterdrücken und zu negieren. Das kann und darf bei Produktionen des öffentlich-rechtlichen TV nicht passieren. Ich möchte Sie hiermit bitten auf diesem diskriminierenden und behinderten feindlichen Umstand Rechnung zu tragen und umgehend und transparent einzugreifen.

Dieses Schreiben wurde als offener Brief in meinem Blog veröffentlicht und kann dort unter https://aleksander-knauerhase.de/ella-schoen-ein-offener-brief-an-das-zdf mitgezeichnet und gelesen werden. Des Weiteren habe ich diese Kritik auch bei Twitter in einem sog. Thread veröffentlicht und die Social Media Stelle des ZDF in die Mentions mit aufgenommen.

Mit freundlichen Grüßen

 

Aleksander Knauerhase

 

Dieser Offene Brief kann über die Kommentarfunktion mitgezeichnet werden. Ich bitte ausdrücklich im Sinne der Sache darum Beschimpfungen und ähnliches zu unterlassen.

Ein ausgedrucktes Exemplar ging per Fax an den ZDF Zuschauerservice.