Auch wenn sich Autismus bei jedem anders äußert, eines haben alle Autisten gemeinsam: Eine, im Vergleich zu Nichtautisten, veränderte Wahrnehmung der Umwelt. Jeder der nicht schon als Kind als Autist diagnostiziert wurde kann mir sicher beipflichten: Man kennt nur seine Art der Wahrnehmung! Es ist förmlich unvorstellbar das andere Menschen die gleiche Umgebung anders wahrnehmen als man selbst. Mit diesem Beitrag möchte ich ein wenig über meine Wahrnehmung als Autist berichten. Auch wenn es wahrscheinlich unmöglich ist diese Wahrnehmung für nichtautistische Menschen verständlich zu machen so möchte ich wenigstens versuchen sie zu beschreiben und zu erklären. Ich bin der festen Überzeugung, dass im Verständnis der anderen Wahrnehmung einer der Schlüssel für Nichtautisten zur Welt der Autisten liegt!

Was passiert in der menschlichen Wahrnehmung? Eine interessante Frage die ich hier nicht hochwissenschaftlich beantworten kann und möchte. Dennoch möchte ich versuchen die Grundzüge kurz anzureißen.

Was nimmt man eigentlich wahr? Es sind Reize die auf unsere Sinne treffen und zum Gehirn weitergeleitet werden. Betrachtet man nun die Summe an Reizen die ständig auf uns einprasseln so wird man von deren Masse förmlich erschlagen. Damit unser Gehirn nicht von Reizen überlaufen und damit auch überlastet wird, findet zwischen Reizaufnahme und Reizverarbeitung eine Filterung statt. Wir müssen also nicht alle Reize bewusst verarbeiten, unbewusst sortieren wir vorab sehr viel aus. Ein Mechanismus der Evolution um unser Gehirn zu schützen und das Überleben der Menschheit zu garantieren. Es wäre schon reichlich dumm wenn wir einem Vogelgezwitscher zuhören und dabei übersehen das wir gerade im Treibsand versinken. Und das nur weil wir nicht alle wichtigen Reize erkennen, verarbeiten und entsprechend priorisieren können.

Letztendlich haben autistische Menschen aber genau dieses Problem. Der Filtermechanismus der dafür sorgt, dass unbewusst Reize ausgefiltert werden funktioniert nicht richtig bzw. gar nicht. Dies führt dann dazu, dass wesentlich mehr Umweltreize auf einen Menschen mit Autismus einprasseln als auf einen nichtautistischen. Diese Flut an Reizen muss nun verarbeitet werden, das Gehirn wird außerordentlich belastet. Wenn man nun bedenkt, dass die Wahrnehmung ständig funktioniert und kein kurzzeitiger Vorgang ist, wird einem klar das Autisten oftmals ständig unter Strom stehen. Dies führt dann zu dem Phänomen das unter Autisten als Overload bekannt ist. Der betroffene Autist ist extrem überlastet. Wie sich ein Overload bei einem Autisten äußert ist recht unterschiedlich. Manche versuchen dagegen anzugehen und die Ursache, die Reizüberflutung, abzustellen bzw. dieser aus dem Weg zu gehen. Wenn also ein Autist, für Außenstehende oftmals ohne Grund, darum bittet gehen zu dürfen oder einen Raum bzw. eine Situation zu verlassen: Bitte denken Sie an diesen Text zurück!

Andere wiederum kämpfen lange mit sich. Sie wissen dass die Umwelt um sie herum die Reizüberflutung nicht nachvollziehen kann und versuchen deshalb so gut wie möglich mit der Situation fertig zu werden. Bemerkbar wird dies, ich kann hier nur für mich sprechen, wenn ein gewisser Rückzug erfolgt, der Betreffende stiller wird und letztendlich innerlich sehr gestresst und angespannt wirkt. Bei vielen zeigt sich diese Kompensierung der Situation z.B. durch rhythmische bzw. wiederkehrende Bewegungen oder Handlungen die auf den Autisten beruhigend wirken. Am bekanntesten bei Nichtautisten ist wohl das Schaukeln mit dem Oberkörper. Bewegungen wie das Schaukeln sind im Umkehrschluss aber kein sicheres Anzeichen für einen Overload und können bei Autisten auch unterbewusst stattfinden. Ist kein Ausweichen möglich kommt es letztendlich zu einer sehr unvermittelten Explosion. Die Anspannung, welche im Falle eines Overloads extrem ist, muss raus. Für Außenstehende sind das dann oft Äußerungen die als Wutausbrüche gedeutet werden. Es handelt sich dabei aber weniger um eine Aggression gegen die Umwelt sondern vielmehr um eine Anspannung die raus muss. Natürlich auch um einen Versuch der Situation zu entkommen bzw. die Reize abzustellen! Ich kann hier um Verständnis für Menschen mit Autismus bitten, wir sind nicht aggressiver als andere Menschen auch! Und es gibt immer einen Grund, auch wenn dieser schwer zu greifen ist. Es ist nicht verboten, in einem angemessenen zeitlichen Abstand, danach zu fragen! Als Autist möchte ich sogar sagen: Es hilft! Es hilft die Situation zu verstehen, zu begreifen was der Auslöser war und vielleicht in Zukunft einen sich anbahnenden Overload zu erkennen und zu vermeiden.

Die Folgen eines Overloads sind nicht unerheblich. Zum einen hat ein Overload mehr oder weniger soziale Folgen in der Umgebung des Autisten. Nicht jeder hat Verständnis dafür oder kommt damit klar. Aber auch die Folgen für einen Menschen mit Autismus sind teilweise gravierend. Eigentlich alle Overloads erschöpfen ungemein. Energie, die in den kommenden Tagen fehlt. Sei es um ein annähernd normales und integriertes Leben zu führen, oder einfach nur um überhaupt einen klaren Gedanken fassen zu können. Das einem der Schädel gehörig brummt ist dann fast noch nebensächlich. Schlimmer wird es wenn ein Autist körperlich aggressiv wird. Hier kann es auch zu Selbstverletzungen kommen. Nicht bei jedem Autisten ist das so, aber diese Fälle gibt es. Man sollte hier immer bedenken: Es ist in dem Moment der einzige Ausweg für den Autisten seiner extremen Situation zu entkommen! Er ist weder latent aggressiv noch möchte er jemandem schaden! Ich werde immer wieder wütend und vor allem traurig, wenn ich dann lesen muss: Autisten sind eine Gefahr für ihre Umwelt!

Wer nun glaubt: „Es kommt nicht schlimmer!“, den muss ich leider enttäuschen. Einige Autisten berichten von sogenannten Meltdowns. Am besten kann man den Meltdown wohl mit einer Notabschaltung des Gehirns als letzte Schutzmaßnahme beschreiben. Ein Zustand in dem wohl jeder Autist, der gerade einen erleidet, absolut jeglichem Klischee von Autisten in der öffentlichen Wahrnehmung entspricht.

Wie beschreibt man also am schnellsten und besten die autistische Wahrnehmung im Vergleich zur nichtautistischen? Ich versuche es mit einem Bildnis das wohl vielen bekannt sein dürfte:

Wenn die normale Wahrnehmung der guten alten PAL Fernsehauflösung entspricht gleicht die autistische mindestens einer modernen Full-HD Fernsehauflösung. Wir Autisten nehmen Details und Informationen bzw. Reize wahr, die in einer nichtautistischen Wahrnehmung schon unbewusst vorab ausgefiltert werden. Unsere Welt ist also extrem hochauflösend!

Die Nachteile davon habe ich ausführlich beschrieben, ich möchte aber keinen meiner Beiträge ohne einen positiv geprägten Aspekt beenden!

Es macht doch keinen Spaß die Umwelt in PAL auf einem alten Fernseher zu sehen, wenn sie schon in HD ausgestrahlt wird, oder?

In diesem Sinne: Mit Autismus sieht man besser! Und das sogar Gebührenfrei! ;)

Fortsetzung folgt…..