Sehr geehrter Herr Renke,
ich habe soeben bei der FAZ Rhein Main Ausgabe Online einen Artikel gefunden, der Sie im Titel wie folgt zitiert: „Offenbachs Politiker müssen Autisten sein“ .
Sie gehen sogar noch weiter und sagen „Die Offenbacher Politiker müssen Autisten sein. Das kann ich nicht fassen. Wäre ein solcher Oberbürgermeister fähig, die Stadt zu führen? Nein, definitiv kann er das nicht.“
Dies kann beim Leser folgende Schlussfolgerung implizieren:
Der Oberbürgermeister verhält sich, in Ihren Augen, autistisch. Ein solcher, eben autistischer, Oberbürgermeister ist nicht fähig eine Stadt zu führen.
Als Autist möchte ich Sie auf folgendes hinweisen:
1) Es ist diskriminierend und zutiefst beleidigend wenn Sie Menschen aus dem autistischen Spektrum absprechen ein politisches Amt eloquent und zuverlässig zu bekleiden.
2) Ihre Aussage das ein autistischer Bürgermeister nicht fähig ist eine Stadt zu leiten ist reine Vermutung und unbewiesen. Sie leisten damit gängigen Vorurteilen gegenüber Autisten noch Vorschub!
3) Sie reduzieren Autismus auf der sprachlichen Ebene auf ein, für Sie anscheinend hervorstechendes, Merkmal: Das leben in einer anderen Welt. Jemandem der in einem Klinikum arbeitet sollte klar sein, dass Autismus eine Behinderung und komplexer als ein einzelnes Merkmal ist. Sie werden der Behinderung Autismus mit solchen unterschwelligen Aussagen nicht im Geringsten gerecht!
4) Sie verwenden die Bezeichnung „Autisten“ in einem negativen und diskreditierenden sprachlichen Kontext. Dies ist nicht akzeptabel da es zu einem negativ belasteten Bild der Gesellschaft gegenüber Menschen mit Autismus führt.
Ich möchte Sie nachdrücklich darum bitten, in Zukunft den sprachlichen Gebrauch von Behinderungen im diskreditierenden Zusammenhang zu vermeiden. Sie leisten den betreffenden behinderten Menschen und auch sich selbst keinen Gefallen damit! Die vermeintliche Überlegenheit die durch diese sprachliche Diskreditierung entstehen soll wiegt in keinem Fall den Schaden auf der in der Gesellschaft durch so etwas entsteht!
Ich bin gerne bereit, in einem persönlichen Treffen, mit Ihnen über Autismus und das Leben als Autist zu reden. Vielleicht hilft Ihnen dies ein realistischeres Bild über das autistische Spektrum bekommen und zu verstehen warum Autismus in Verbindung mit diskreditierenden Aussagen ein Unding ist.
Fürs Erste empfehlen ich Ihnen meinen, erst am Sonntag wieder erschienenen, Blogpost zum Thema Autismus und Sprache: https://quergedachtes.wordpress.com/2012/11/18/die-sprache-des-autismus/
Mit freundlichen Grüßen
Aleksander Knauerhase
Update 27.11.2012: Herr Renke hat sich für seine Formulierung entschuldigt. Ich freue mich zum einen das er Verständnis für die Kritik gezeigt hat und in Zukunft bewusster mit Sprache umgehen möchte und zum anderen das er die Größe hatte dazu zu stehen und sich zu entschuldigen!
Entschuldigung angenommen Herr Renke!
Ist gerade „in“ den Begriff „autistisch“ in Reden zu verwenden. Kürzlich sprach der IHK-Geschäftsführer von Stuttgart, im Zusammenhang mit der Stadtplanung von „autistischer Stadtplanung“. Ich habe angefragt was er denn damit genau meine, habe aber keine Reaktion darauf.
Leider ist das ein schon länger anhaltender Trend. Ich bemerke den vorwiegend in Kreisen die rethorisch eigentlich mehr drauf haben sollten. Das man keine Antwort oder Reaktion bekommt ist leider genauso in Mode. Politiker und andere Personen der Öffentlichkeit scheuen oftmals anscheinend das Feedback.
Präzisierung meines obigen Kommentars:
Zitat aus der Immobilien-Zeitung vom 26.7.12
„Andreas Richter, Hauptgeschäftsführer IHK Region Stuttgart, sieht im „kommunalen Autismus“ der 179 Städte und Gemeinden in der Region das Hauptproblem und malt wegen mangelnder Logistikflächen gar eine De-Industrialisierung an den Horizont.“
siehe auch: http://www.bcsd.de/upload/tagung/ProfWalterAckers.pdf
Skandalös!
Wir brauchen wohl demnächst eine Hall of Shame um diese rhetorischen Fehlleistungen zu sammeln. :-/
Manchmal wäre das wohl wirklich eine passende Reaktion. Ich habe mich bisher nur innerlich dagegen gesträubt. Jemanden an den „Pranger“ stellen ist einfach. Ziel sollte aber nicht die Anprangerung sein (in meinen Augen) sondern die Aufklärung und Information. Ich möchte die betreffenden Menschen informieren warum man Autismus nicht als Sprachbild verwenden soll. Denn nur wenn sie das wissen und verstehen kommt die Einsicht und dann haben wir etwas erreicht.
Deswegen kritisiere ich solche rethorischen Ausrutscher zwar sehr stark und eindrücklich, reiche aber auch immer dazu die Hand mit der Chance sich zu informieren.
Gibt es kein Gesetz, dass solche diskriminierenden Aussagen ahndet?
Ich fürchte nein. Wobei ich auch mehr auf Aufklärung als auf Bestrafung baue. Jemanden wegen solcher Aussagen zu verklagen wird nichts am Verhalten ändern. Man muss die Menschen dafür sensibilisieren das Autismus zwar ein vermeintlich tolles Sprachbild ist aber eben auch eine Behinderung. Und das man damit allen Autisten einen Bärendienst erweist. Und sowas geht nur wenn man auf sie zugeht. Leider enden 95% dieser Versuche aufzuklären in einem einseitigen Monolog der nur mit Schweigen beantwortet wird.
Wahrscheinlich bringt ein: „Ey Alter, das ist respektlos gegenüber mir, wenn du das Wort so verwendest. Nimm gefälligst andere Schimpfwort dafür!“ manchmal mehr. 😉
Man sollte immer in der Sprache der Zielgruppe sprechen. Von daher würde es bei einigen wohl helfen. Mache ich aber nicht. Warum? Ich begebe mich ungern auf das Niveau von pöbelnden Menschen 😉
Saschas Mama hat eine Anfrage an die Antidiskriminierungsstelle geschickt. Aus der Antwort:
„Auch verstehen wir, dass Sie Autisten durch die Zitate des Offenbacher Klinikum-Betriebsratschef herabgewürdigt sehen. Gleichwohl dürfte es sich noch im Rahmen der Meinungsäußerungsfreiheit halten, wenn er seine Auffassung kundgibt, Autisten wären für das Amt eines Oberbürgermeisters ungeeignet.
Die Meinungsfreiheit steht in Deutschland unter besonderem grundrechtlichen Schutz. Ihr werden erst dann Grenzen gesetzt sind, wenn die Werturteile Persönlichkeitsrechte auf schwerwiegende Weise verletzen, etwa die Menschenwürde betreffen.
Die Grenzen zwischen einer noch berechtigten Meinungsäußerung und einer Diskriminierung sind fließend, könnten aber in dem von Ihnen aufgezeigten Fall noch nicht überschritten sein. Abschließend kann das nur ein Gericht sagen.“
Yeah, das gesamte autistische Spektrum mit allen anderen geistigen Behinderungen in einen Topf geschmissen!
Mir fällt da grad nur „wer nicht hören will, muß fühlen“ ein.
Möchtest Du nicht Wiesbadener Oberbürgermeister werden? 😉
Deswegen finde ich Aufklärung und Information so wichtig! Auf Dauer erreicht man mit Hinweisen und Informationen mehr als mit Drohungen oder verbalen Angriffen.Das Umdenken kann nicht durch juristischen Zwang erfolgen, es muss in den Köpfen der Menschen geschehen. Und die Antwort von Herrn Renke zeigt das er verstanden hat worum es den Briefschreibern ging.
Willst Du Wiesbaden leiden sehen? 😉
Spaß beiseite: Dafür müsste sich erstmal eine Partei finden die damit klar kommt das jemand der offen dazu steht Autist zu sein für sie kandidiert. Und da dies derzeit noch undenkbar ist…mache ich mir über weiteregehendes keine großen Gedanken 🙂
Wiesbaden leiden sehen? Nö, für so verplant hätte ich Dich jetzt nicht gehalten.
[…] fehlenden Weitblick […]