Auf den ersten Blick mag es etwas ungewöhnlich erscheinen, dass in diesem Blog über Autismus ein Beitrag zur Thematik der Umweltzonen erscheint. Beide Themen hängen, wirft man einen zweiten Blick auf sie, aber enger zusammen als ein erster Blick vermuten lässt.

Im Laufe dieses Jahres hat die Stadt Wiesbaden, in Gemeinschaft mit der Stadt Mainz, beschlossen große Teile beider Städte ab Februar 2013 zu einer Umweltzone zu erklären. Davor war eine Umweltzone schon abgelehnt worden und einzig die Klage einer einzelnen Bürgerin, unterstützt von der Deutschen Umwelthilfe, brachte die Stadt zum umdenken. Unter Gesundheitsaspekten scheint dies ein Fortschritt zu sein, betrachtet man aber einmal genauer wer von dem Einfahrverbot betroffen ist kann man schnell zu einem anderen Ergebnis kommen.

Wiesbaden und Mainz starten auch gleich durch: Zum Start der Umweltzone dürfen nur noch Autos mit einer grünen Plakette einfahren! Das so ein plötzliches und scharfes Einfahrverbot, und um ein solches handelt es sich bei einer Umweltzone, so manchen Bürger ausgrenzt und massiv einschränkt wurde nicht bedacht.

Es gibt doch Ausnahmegenehmigungen!

So mancher mag nun sagen: Es gibt doch Ausnahmegenehmigungen für alle Menschen die auf ihr Auto angewiesen sind. Dazu möchte ich die Informationsseite der Stadt Wiesbaden zitieren:

Keine Ausnahmegenehmigungen zur Einfahrt in die Umweltzone gibt es für Fahrten:

  • von Fahrzeugen, die nach dem Inkrafttreten der Wiesbadener Umweltzone am 1. Dezember 2012 zugelassen worden sind
  • von Touristen
  • zur Arbeitsstätte (Ausnahme: Arbeitsbeginn / Arbeitsende zu Zeiten, in denen kein Öffentlicher Personennahverkehr angeboten wird)
  • zu Einkaufs- oder Besuchszwecken
  • zum Transport von Kindern zur Kita, Schule oder ähnlichem
  • zum Besuch von Abendschulen, Universität oder ähnlichem
  • zur privaten Pflege von Angehörigen, die in der Umweltzone leben
  • von Arbeitnehmern mit ungünstigen Arbeitszeiten, deren Arbeitsstelle nicht mehr als 400 Meter vom Rand der Umweltzone entfernt liegt (hier ist der Fußweg zumutbar).

Des Weiteren sind Fahrzeuge, mit denen Behinderte (außergewöhnlich Gehbehindert [aG], hilflos [H] oder blind [BI]) fahren oder gefahren werden vom Fahrverbot ausgeschlossen.

Und hier komme ich dann wieder zum Autismus zurück und versuche das am Beispiel meiner persönlichen Situation darzustellen:

Als erwachsener Autist habe ich weder die Merkzeichen Bl noch H. Das Merkzeichen H dürfte bei erwachsenen Autisten eine Seltenheit sein. Eine außergewöhnliche Gehbehinderung ist aufgrund des Autismus ebenfalls nicht gegeben. Autismus fällt, als Behinderung, damit nicht unter die Ausnahmeregelung für die Einfahrt in Umweltzonen.

Bleibt die Chance auf eine kostenpflichtige und zeitlich begrenzte Ausnahmegenehmigung. Warum fahre ich also nach Wiesbaden? Zum einen um Familie und einen Teil meines sehr kleinen Freundeskreises zu besuchen. Meine soziale Bindung und die wenigen sozialen Kontakte verteilen sich über die Umweltzone. Besuchszwecke sind kein Ausnahmegrund. Davon abgesehen liegt der Veranstaltungsort meiner QiGong und TaiChi Kurse in der Umweltzone. Etwas das ich nach meiner medizinischen Reha angefangen habe und das mir persönlich sehr hilft und mich weit voran gebracht hat. Verbucht man eine Volkshochschule unter „Abendschulen, Universität oder ähnlichem“ merkt man: Auch hier werde ich keine Ausnahmegenehmigung bekommen.

Zu Facharztbesuchen steht in den Regelungen nichts, aber ich muss wohl davon ausgehen, dass ich auch dafür keine Ausnahmegenehmigung bekomme.

Die wenigen Highlights, z.B. ein Besuch in einem Restaurant, Feiern usw. brauche ich gar nicht erwähnen. Eigentlich alles Anlässe die für Otto Normalmensch zum Alltag gehören für mich als Autist aber eine Seltenheit sind! Ausnahmegenehmigungen wird es dafür auch nicht geben.

Was bleibt mir?

Zum einen die Fahrten in öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Enge in oftmals überfüllten Bussen bedrängt mich. Die Geräusche, die Gespräche der Mitfahrer und die ganze Umgebung versetzen mich in massiven Stress. Dazu kommen noch die im Bus üblichen Gerüche. Manche schwitzen, viele benutzen Haarspray oder andere Pflegeprodukte oder einfach nur ein starkes Parfum oder Deo. All das raubt mir allerdings die Luft. Ich bekomme davon Atemnot und in Kombination mit der enge und dem Gefühl des „Bedrängt werdens„ wird eine Fahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln zu einer sehr belastenden Situation für mich. Kurzum: Es kostet mich erheblich mehr Energie all diese belastenden Eindrücke zu verarbeiten als z.B. ein Besuch bei Verwandten oder Freunden aufwiegen kann. Ergebnis ist dann: Man bleibt zu Hause! Fällt dann noch der regelmäßige Ausgleich in Form meiner QiGong und TaiChi Kurse weg bin ich auf einem Weg zurück in die Isolation.

Zum anderen bliebe mir die Umweltzone, das Einfahrverbot und alles drum herum zu ignorieren und einfach zu fahren. Jedes Mal wenn ich dann von jemandem angezeigt oder von der Stadtpolizei kontrolliert werde kostet mich das 40 Euro (in Zukunft 80). Also definitiv keine Alternative. Vom fehlenden Geld abgesehen ist mir auch nicht daran gelegen Ärger zu provozieren.

Letztendlich, und wenn die Stadt Wiesbaden mir keine Ausnahmegenehmigung erteilt, bleibt mir nur der soziale Rückzug. Genau dahin wo viele Menschen Autisten herausholen wollen: Aus der eigenen kleinen Welt. Oder ganz nach dem Werbeslogan der Stadt für diese Maßnahme: „Wiesbaden hat´s drauf!“