Ich habe schon vor einem Jahr etwas über Inklusion, Schauspieler und Rollen mit Behinderung geschrieben.
Gestern hatte ich von Julia Probst zwei Tweets direkt nacheinander in meiner Timeline:
Meiner Meinung nach vermischt Julia hier zwei voneinander unabhängige Argumentationen und schadet – in meinen Augen- mit der Schlussfolgerung selbst dem Bild der Inklusion.
Qualität
Es liegt in der Natur der Sache, dass Schauspieler die nicht behindert sind sich schwer damit tun eine Rolle mit Behinderung realistisch auszufüllen. Wer nicht seit langem Blind ist weiß eben nicht wie es ist blind zu sein. Wer nur mal für eine Proberunde im Rollstuhl gesessen hat kann natürlich einen Rollstuhlfahrer, mit all seiner Erfahrung im Alltag, nicht realistisch verkörpern. Und wer sich nicht intensiv mit Autismus befasst hat –die Wahrnehmung kann man leider nicht simulieren und mal ausprobieren- wird es schwer haben sich in eine autistische rolle realistisch rein zu versetzen. Insoweit ist es gut, wenn man versucht und anstrebt Rollen über behinderte Menschen auch mit solchen zu besetzen. Aber auch das garantiert nicht immer eine realistische Darstellung. Es macht sie nur realistischer. Eines darf man hier nämlich nie vergessen: Kennst Du einen Menschen mit Behinderung kennst du genau diesen einen. Nicht jeder Rollifahrer, blinde Mensch oder autistischer Mensch ist gleich. Wir sind alle unterschiedlich und so wird immer jemand sagen: Das war aber nicht realistisch gespielt.
Um zum Punkt zu kommen: ich befürworte durchaus das Menschen mit Behinderung, gerade bei Filmen über Behinderungen oder mit behinderten Menschen in einer der Rollen, stärker einbezogen werden. Sei es als Regisseur, Drehbuchautor, Schauspieler oder einfach nur als Berater. Die Qualität wird steigen und eine realistischere Darstellung von Behinderungen in Filmen und Serien wird sicher auch etwas zur Inklusion beitragen.
Inklusion
Kommen wir aber nun zur Schlussfolgerung von Julia:
„Und jeder, der nicht begreift, dass #Schauspieler keine Rollen mit Behinderung spielen können, hat das mit der #Inklusion nicht begriffen.“
Ich musste wirklich nicht lange nachdenken um Julia da wiedersprechen zu müssen. Ich finde es frech anderen abzusprechen das sie Inklusion nicht begriffen haben wenn sie anderer Meinung sind. Ich begründe meine andere Meinung natürlich auch gerne.
Im Kern fordert Julia folgendes: Rollen mit Behinderung dürfen nur noch von Menschen mit dieser Behinderung gespielt werden. Alles andere wäre keine Inklusion.
Was sie dabei übersieht: Sie betreibt damit eigentlich Exklusion in zwei Dimensionen.
Zum einen: Damit werden Schauspieler die nicht behindert sind von Rollen mit einer Behinderung ausgeschlossen. So gesehen exkludiert man schon diesen Teil der Menschheit aus der Gemeinschaft.
Zum anderen exkludiert man damit eigentlich auch die Schauspieler mit Behinderung weil man sie als eigenständige Gruppe definiert und damit, eben für die besagten Rollen, aus der Gesamtheit der Schauspieler ausgrenzt. Inklusion ist eben nicht: Gruppen bilden und definieren. Sondern allen –eben auch Menschen ohne Behinderung- die gleichen Chancen zu gewähren.
Man darf auch eines nicht vergessen: Wenn man Schauspielern ohne Behinderung, im Namen der Inklusion, verbieten würde Rollen mit Behinderung zu spielen: Ja dann gäbe es so einige Filme nicht.
Forrest Gump, Snow Cake und auch Rain Man (die Darstellung des Savants war gut, dass Ganze als Autismus zu verkaufen nicht) und viele andere Filme wären wahrscheinlich nie erschienen. Was wäre dann? Behinderungen hätten eine viel geringere Aufmerksamkeit und würden noch mehr in der Wahrnehmung der Gesellschaft fehlen. Eine Bewegung genau gegensätzlich zur Bewegung der Inklusion!
Ich glaube sogar dass viele Schauspieler mit einer Behinderung froh sind, wenn sie nicht immer nur für die Rolle des „Behinderten“ besetzt werden. In solchen Schubladen werden viele stecken. Und das ist eben genau das Gegenteil von Inklusion.
Ist mit solchen Forderungen irgendwem geholfen? Ich denke nicht. Die Qualität sollte eine Rolle spielen, nicht aber die eine evtl. vorhandene oder eben nicht vorhandene Behinderung. Ich bin also PRO Qualität, aber strikt GEGEN die pauschale Ausgrenzung von Menschen.
Was ist für mich nun Inklusion in Bezug auf Schauspiel und Film?
Wenn Schauspieler mit einer Behinderung endlich Rollen spielen dürfen die alltäglich sind. Rollen in denen die Behinderung keine Rolle spielt und auch nicht zwanghaft thematisiert wird. Ich möchte einen Concierge im Rollstuhl sehen, einen Menschen mit Down Syndrom als Mitarbeiter in einem Unternehmen, einen Autisten in einer WG. Ich möchte das Behinderungen alltäglich dargestellt werden und es gar nicht mehr auffällt das einer der Schauspieler behindert ist. Ich möchte, dass es keine Rolle mehr spielt – und damit nicht mehr zwanghaft thematisiert wird- ob ein Schauspieler oder eine Rolle nun behindert ist oder nicht.
Sehr gute Gedanken! Ein gelungenes Beispiel für eine individuelle Darstellung eines behinderten Menschen, das sich der Verallgemeinerung von Behinderung widersetzt, ist der Novembermann mit Götz George.
Ich erhielt gestern nach dem ersten Tweet zum Thema zuerst die Assoziation: schwule/lesbische Rolle und schauspielende Person, die sich von der s*xuellen Orientierung der Rolle distanzieren musste, um selbst nicht als schwul oder lesbisch zu gelten. Weil, zu einer gewissen Zeit war das ein Karrierekiller. (Heut kräht kein Hahn mehr danach.)
Auf der anderen Seite fiel mir Marlee Matlin ein. Sie zeigt, wie es geht, viele Charaktere darzustellen. Sie ist nicht auf die Rolle der Gehörlosen festgelegt. Sondern Gehörlosigkeit ist ein Teil der Rolle. Aber irgendwann musste auch sie anfangen. Sie erhielt eine Chance. Und so in etwa verstand ich die Tweets von Julia Probst. Es wird nicht nach schauspielernden Gehörlosen gesucht.
„Es wird nicht nach schauspielernden Gehörlosen gesucht.“
Dann sollte Julia aber vielleicht genau das auch so kommunizieren. Das man zuerst nach gehörlosen Schauspielern suchen sollte. Aber bitte nicht das nur Menschen mit einer Behinderung auch solche Rollen spielen dürfen. Und das alles andere angeblich keine Inklusion ist bzw. wer anders denkt Inklusion nicht verstanden hat.
Damit richtet sie nämlich mehr Schaden an als das sie etwas Gutes bewegt. Meiner Meinung nach.
Keine Ahnung, ob sie das auch so dachte, wie ich es letztendlich aufgefasst habe. Aber das würde es für mich verständlich machen.
Aber grundsätzlich kann ich deiner Argumentation folgen. 🙂
Da muss ich mich jetzt auch mal zu Wort melden (und ich fürchte schon jetzt, dass der Kommentar etwas länger werden könnte). Denn diese Tweets, die du hier ansprichst, habe ich in so ähnlicher Form von Julia Probst schon gelesen, als sie mich noch nicht geblockt hatte. Sie formuliert diesen Gedanken so oft, in Bezug auf unterschiedliche Dinge, und mir geht es da genau wie dir, mir passt das nicht. Wohlgemerkt, ich habe keine Behinderung, aber für mich ist Inklusion genau das, was du v.a. im letzten Absatz beschreibst. Bei Julia Probst habe ich oft das Gefühl, sie möchte zwar sich und alle anderen Gehörlosen/Behinderten akzeptiert wissen, aber gleichzeitig auch wieder abgrenzen. Exkludieren, wie du schreibst. So ein bisschen etwas „Besonderes“ erhalten. Und das halte ich für falsch (habe dann auch mal (mehrfach) „gewagt“, ihr das mitzuteilen in Form von Replies, was dazu führte, dass ich nun geblockt werde. Nun ja.)
Vor allem ist dieser Gedanke, den sie da ausführt, besonders aberwitzig, wenn man ihn mal weiterdenkt: Dürfen dann die Patienten in den ganzen Krankenhaus-Serien nur noch von Schauspielern gespielt werden, die selbst ein gebrochenes Bein, ne Lungenentzündung oder Krebs haben? Schwule nur noch von schwulen Schauspielern, umgekehrt aber schwule Schauspieler keine Heterosexuellen mehr darstellen? Ich gehe mal davon aus, dass ein Schauspieler sich informiert und recherchiert, bevor er eine Rolle, egal welche, spielt. Und da ist es natürlich sehr wünschenswert, wenn Behinderte bspw. als Berater miteinbezogen werden, um eine realistischere Darstellung zu ermöglichen. Aber wem ist damit gedient, wenn ein Behinderter eine Rolle spielt, nur weil er eben die „geforderte Behinderung“ hat, aber dafür überhaupt kein schauspielerisches Talent?
Letzten Endes bin ich also voll deiner Meinung. (Hätte das ganze auch abkürzen können 😉 )
Das mit dem geblockt werden würde ich als Auszeichnung verstehen. Was ich so mitbekomme ist, dass sie jeden blockt, der ihr widerspricht oder kritische Fragen stellt.
Das beruhigt mich als Cogeblockter ein wenig. Ich hatte bei Twitter, wie bei vielen sozialen Netzwerken, die Hoffnung, dass es um Meinungstaustausch und Diksussionen mit unterschiedlichen Meinungen gehen könnte. Letztlich bleibt bei mir das Gefühl, dass das aber nur in Blogs noch ansatzweise funktioniert 😉
Das Leben ist kein Wunschkonzert.
Da es nicht viele behinderte Schauspieler gibt, werden auch nicht viele Rollen mit diesen besetzt werden können und behinderte Menschen werden selten Schauspieler werden können, weil es für diese nicht viele Rollen gibt und geben wird.
Ein Film ist keine Willkür, sondern eine erhebliche finanzielle Anstrengung und ein zumeist privatwirtschaftliches Unternehmen. Da kann niemand Vorschriften machen. Zumal ein Film ein Kunstwerk ist. Insofern: Man kann einem Künstler einfach nicht vorschreiben welche Materialien oder Farben, welchen Stil oder welches Design er verwenden soll.
Über die Teilnahme von gehandicapten Personen an Filmen entscheidet das Drehbuch und die Rollenzuschreibung bzw. Charakterkonstruktionen durch die Autoren und das findet nun mal häufiger im Kontext mit zentraler Ursache für die Behinderung statt, die, wenn sie vorkommt, nun mal auch einen Anteil hat.
Und wer sich sexuell „alternative“ Wege geht, soll sich Filme für seine eigene Zielgruppe suchen. Der PrivatfilmchenMarkt ist groß genug.
Hört auf zu verlangen, das persönlichen Neigungen oder Schicksale überall in den Mittelpunkt gestellt werden. Das ist mal wirklich narzistisch.
Man kann nicht einfach von der Welt verlangen, das sie sich um einen dreht. Das ist einfach nur unverschämt.
Noch hinzugefügt:
Nach der Logik darf eine Rolle als Koch nur vom Koch dargestellt werden. Eine Rolle als Polizist nur vom Polizisten.
Das ist bescheuert. Da hat Jemand das System und Prinzip von Schauspielerei nicht verstanden.
Je nach dem wird ein Schauspieler mehr oder weniger Qualität abliefern, aber seine Aufgabe ist IMMER etwas darzustellen, was er nicht ist.
MFG
Ich sehe was Du meinst, doch ich kann nicht so ganz folgen – besonders dem ersten Abschnitt nicht. Es sind nur wenige Worte um den Begriff Behinderung.
Ich habe eine Zeit lang viel Zeit mit sogenannten „Behinderten“ verbracht. „Schwere Behinderungen“ so sagt man. Es hat etwas gedauert. Dann wurde es ist eine Tatsache, dass man jegliche „Behinderung“ vergisst und einfach nur noch den Menschen sieht. Mehr noch, die künstlichen Schranken, etwa Treppen am Bahnhof, regen einen wirklich auf, unabhängig davon, ob man selbst im Rolli sitzt.
Sagt mir jemand, ich unterschiede mich von „denen“ irgendwie mehr, als von meinem Nachbarn, von Dir oder sonst wem, dann sage ich dem:
Du redest hier von meinen Freunden. Erzähl mir niemand etwas von „Behinderten“, solange Du nicht Deine Behinderung selbst erkennst. Niemand von denen damals tut mir leid. „Sie“ brauchen „unser“ Mitleid nicht. Was sie auch nicht brauchen ist Ausgzenzung. Das ist ein Menschenrecht.
So gesehen ist der Gedanke der Inklusion manchmal recht arm. Wieso ist Inklusion überhaupt notwendig? Weil wir excluden. Es scheint mir fast, Julia Probst Gedanke „wer was darf“ differenziert hier ungerechtfertigt. Sie generiert mit ihrer Unterscheidung, mit der Differenzierung die Behinderung erst. Im Beispiel geht es einfach um einen guten Schauspieler und sonst nix.
Wer nun meint, ich würde Probleme leugnen, nein, wirklich nicht… Schwerer Fehler.
Schöner Artikel, sehr gut argumentiert!
[…] Erscheinungsbild und Erfahrungen entsprechen. Aleksander Knauerhase hat dazu schon vor einiger Zeit einen guten Artikel […]
Inklusion wird erst dann nicht mehr als Forderung notwendig sein, wenn irgendwelche Rollen mit Schauspielerinnen besetzt werden, ohne dass deren sensorische, körperliche oder intellektuelle Besonderheiten relevant sind.
Z.B. mag es ja von Bedeutung sein, ob eine Astronomin sehen kann und damit eine Blinde von der Darstellung ausschließen – aber nicht, ob sie im Rollstuhl sitzt oder taub ist. Oder ob eine Skifahrerin hören kann oder nicht, oder eine Kioskbetreiberin Downsyndrom hat oder nicht. Wenn Astronominnen, Skifahrerinnen oder Kioskbetreiberinnen zu besetzen sind sollten also die Kandidatinnen nach deren Talent für diese Rolle ausgewählt werden und nicht nach einem dafür irrelevanten Makel oder Vorteil.
Wird eine Darstellerin einer Rollstuhlfahrerin, eine Blinde oder eine Person mit Downsyndrom gebraucht, dann ist natürlich die Besetzung mit einer Person erforderlich, die das spezifisch geforderte Merkmal hat. Zu Recht wird ja z.B. die Darstellung einer Dunkelhäutigen durch eine geschminkte Hellhäutige als „blackfacing“ verurteilt.
Ich stimme Dir zu, aber bislang sind wir noch nicht so weit, dass eine Schauspielerin nur nach den für eine Rolle erforderlichen Eigenschaften beurteilt wird, sondern auch nach den irrelevanten. Praktisch bedeutet das derzeit eine Exklusion, wenn mal nicht explizit eine Rollstuhlfahrerin, eine dunkelhäutige, eine blinde oder ähnliches gesucht wird, dann kommen solche Darstellerinnen grundsätzlich nicht zum Zuge.
„Wird eine Darstellerin einer Rollstuhlfahrerin, eine Blinde oder eine Person mit Downsyndrom gebraucht, dann ist natürlich die Besetzung mit einer Person erforderlich, die das spezifisch geforderte Merkmal hat. Zu Recht wird ja z.B. die Darstellung einer Dunkelhäutigen durch eine geschminkte Hellhäutige als “blackfacing” verurteilt.“
Dem Zusammenhang mit Blackfacing möchte ich mal entschieden widersprechen. Der Begriff wird lediglich von einer bestimmten Ideologie-Fraktion verwendet, aus dem Kontext genommen und zur Belegung der eigenen Ideologie neu besetzt.
Hier in D kennen wir das Blackfacing der US-amerikanischen Shows des 19. Jahrhunderts so gut wie nicht. Dabei ging es darum, dass durch weiße Darsteller bestimmte körperliche Merkmale von Afroamerikanern und Afrikaner über die Maskerade übertrieben herausgestellt wurden. Typisch war eine völlig übertriebene Bemalung der Lippen _und_ Afroamerikaner wurden zudem häufig als linkisch, dumm und lächerlich dargestellt.
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Allgemein und nicht speziell als Antwort:
In dem Zusammenhang Blackfacing ins Spiel zu bringen führt den gesamten Schauspielerberuf ad absurdum; am besten spielt jeder nur noch sich. Wo ich zustimme ist, dass es absolut wünschenswert ist, Rollen entsprechend zu besetzen. Das aber als zwingend zu sehen halte ich für falsch. Und wo soll es hinführen? Schauspieler dazu verpflichten, während des Drehs einen Unfall zu haben oder zu erblinden usw. oder am besten Spielfilme generell verbieten?
Daran, dass Stephen Hawking nicht von einem an ALS-Erkrankten gespielt wurde, hat sich Julia Probst ja auch gestört und es als Blackfacing bezeichnet. Dass Stephen Hawking selber sich positiv geäußert hat scheint völlig egal. Was weiß der als jemand, der ALS hat, schon? Und für sich selber sprechen darf er anscheinend auch nicht oder wie soll man das verstehen? Am besten schaffen wir alles bis auf Dokumentarfilme und Reportagen ab. Schont die Nerven.