Einige haben es evtl. schon auf Twitter mitbekommen: Das ABA (Applied Behavior Analysis, eine Therapie bzw ein Frühförderungsangebot für autistische Kinder) Infotreffen ist gescheitert. Ich sah mich gezwungen dieses vor einigen Tagen abzusagen.

Ich bin für Transparenz und werde daher in diesem Blogpost mehr oder weniger kurz darlegen was in den letzten Wochen passiert ist.

Alles fing, wie auch schon hier beschrieben mit einem Blogpost von Maedel an. Die Aktion Mensch fördert – mit fast 250.000 Euro- ein ABA ähnliches Projekt in Bremen. Ich bot der Aktion Mensch daraufhin bei Twitter ein Gespräch und Informationen zu ABA an. Daraus wurde dann eine Gesprächsrunde die unter der Moderation der Aktion Mensch beim Projekt vor Ort, also in Bremen, stattfinden sollte. Mir war da schon nicht wohl, war mir doch im Vorfeld klar, dass eine direkte Konfrontation mit ABA Anbietern schnell „nach hinten“ losgehen kann. Ich fand es aber im Kern noch fair, dass auch die „Gegenseite“ zu Wort kommen sollte. Ich sah vor allem die Chance, dass vielleicht doch die Bedenken der Autisten ernst genommen würden und man vielleicht etwas bewegen könnte. Zumindest war ich mir sicher: Auch die Aktion Mensch kann hier etwas lernen.

In einem Telefonat mit dem Pressesprecher der Aktion Mensch klang folgendes durch:

Ich sollte mit dem IfA (Institut für Autismusforschung, Sitz in Bremen) Kontakt aufnehmen da diese doch erhebliche Bedenken bei der Aktion Mensch angemeldet hätten. Konkret wollte das IfA eine Verschwiegenheitserklärung von mir damit ich Namen der teilnehmenden Eltern nicht erwähne. Das hätte ich niemals getan. Ein weiterer Punkt war, dass das IfA befürchtete eine Demonstration könne den Betriebsablauf stören. Darauf habe und hatte ich nur wenig Einfluss, ich sicherte aber zu, dass ich von Gewaltandrohungen die angeblich in einem Blog aufgetaucht sind nichts halte und natürlich auf ein Gespräch auf Augenhöhe und im Ergebnis offen baue. Um deutlich zu machen wie aufgeheizt die Stimmung unter den Autisten ist erwähnte ich, dass ABA ähnlich wie MMS (Chlorbleiche die als wundermittel autistischen Kindern oral und/oder anal verabreicht wird) ein rotes Tuch für Autisten ist. Diese Email schickte ich kurz nach dem Telefonat an Herrn Cordes vom IfA.

Ich werde nicht den kompletten Mailwechsel hier veröffentlichen, aber einige Zitate die zeigen womit ich mich konfrontiert sah.

Einen Tag nach meiner Email antwortete mir Prof. Dr. Röttgers. Seines Zeichens zweiter Vorsitzender des IfA.

„Sehr gerne würden wir mit Ihnen über lernpsychologisch fundierte Frühförderprogramme für Kinder mit Autismus wie das von Aktion Mensch in Bremen geförderte sprechen und Fragen beantworten; ich möchte Sie dazu gerne nach Münster in die Fachhochschule einladen.“

Schon wieder ein Wechsel des Ortes. Ich habe eigentlich gar keine Fragen, ich wollte über die Sichtweise von Autisten auf diese „Frühförderprogramme“ reden.

„An dem Gespräch würden seitens des IFA Herr Cordes und ich teilnehmen, wenn Ihnen das recht ist, würde ich zudem eine unserer wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen dazubitten, die selber Asperger-Autistin ist und deren Know-How und persönliche Perspektive bei dem Münsteraner Projekt und den damit verbundenen Studien- und Fortbildungsangeboten sehr wertvoll ist.“

Ein Angebot das entgegenkommend klingt. Ich möchte aber nicht, dass hier Autisten gegen Autisten ausgespielt werden. Ich hätte zudem in jedem Fall verloren. Schließlich kennt diese Autistin das Projekt, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und eben auch Autistin. Ich lehnte die Teilnahme mit der Begründung ab, dass hier ein personelles Ungleichgewicht entseht und das für mich nicht in Ordnung ist.

„Ich freue mich, das möchte ich gerade als Arzt sagen, sehr, dass Sie sich entschieden gegen die gefährlichen Pseudo-„Heil“verfahren wie Chlordioxid („MMS“) aussprechen…“

Ja, und das tue ich schon sehr lange. Aber was hat das mit dem Projekt und dem Thema ABA zu tun?

„Autismus ist ein „So-sein“ eines Menschen, keine“Krankheit“, die man „wegbehandeln“ könnte; da stimmen wir sicher überein“

Das aus der Feder eines Verantwortlichen eines auf Lovaas basierenden Frühförderangebots?

„Wenn wir hier ggfs. anlassweise auch gemeinsam initiativ und aufklärerisch tätig werden könnten, würde mich das sehr freuen.“

Ich sah hier keine Grundlage für eine Zusammenarbeit. Es ist aber zu begrüßen wenn sich jemand gegen MMS und Co einsetzt.

„Ich bin optimistisch, dass wir in einem solchen Gespräch Missverständnisse aufklären können -vielleicht werden Sie danach auch ein Befürworter ? Aber selbst wenn Sie das nicht werden: wenn Sie sehen […]  dann werden Sie zumindest ein Gefühl dafür bekommen, dass unsere Projekte nicht nur Gutes wollen, sondern auch bewirken können.“

Hier war dann meine persönliche Ansicht von „Ergebnisoffen“ am Boden. Was ich hier festgestellt habe, und das hat mich zusätzlich verwirrt, ist die Reaktion von Nichtautisten auf diesen Abschnitt. Sie sahen ihn durchweg für positiv. Ich kam hier in einen Konflikt: Sehe nur ich, dass ich hier von ABA überzeugt werden sollte? Sah nur ich wie rhetorisch manipulativ und geschickt diese Aussagen gemacht werden? Sah ich hier gar ein Gespenst hinter einem nicht vorhanden Busch?

Die Mail, die wesentlich ausführlicher als die hier beschriebenen Zitate ist, endete dann mit einem Angebot:

„Falls Sie noch jemanden mitbringen möchten, lassen Sie mich das wissen, damit ich ausreichend Sitzgelegenheiten und Kaffeetassen bereit habe.“

Mein erster Gedanke: wtf? Man erlaubt mir hier seitens des IfA jemanden mitzubringen? Was ist aus meinem Angebot geworden? Eine IfA Veranstaltung bei der ich zu Gast sein darf? Ich fühlte mich auf jeden Fall sehr unwohl.

Meine Antwort hier in voller Länge:

„Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Röttgers, sehr geehrter Herr Cordes,

vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort.

Ein Treffen am 01.09. kann leider nicht stattfinden. Der letztmögliche zeitnahe Termin der für mich realisierbar ist, ist der 25.08. Das wurde von mir so auch gegenüber der Aktion Mensch vor längerer Zeit schon kommuniziert.

Ich bin darüber irritiert, dass Sie mehr von MIA und Münster sprechen aber nicht mehr wesentlich von dem Projekt in Bremen. Um dieses geht es ursächlich ja erst einmal.

Ihr Angebot eine wissenschaftliche Mitarbeiterin in das Gespräch einzubinden würde dazu führen, dass ein quantitatives Ungleichgewicht bei der Zusammensetzung der Gesprächspartner entstehen würde. Ein Treffen auf Augenhöhe wäre so nicht mehr gegeben.

Sehr irritiert hat mich Ihre Anmerkung, dass ich nach dem Termin evtl. zum Befürworter von ABA werden könnte. Dies ist nicht der Sinn einer ergebnisoffenen Diskussion zum Thema ABA die ich mir vorgestellt habe.

Es liegt nun in Ihrer Entscheidung ob ein ergebnisoffenes Treffen auf Augenhöhe am 25.08 in einem Hotel in Bremen stattfinden kann oder ob das für Sie nicht realisierbar ist.

Mit freundlichen Grüßen

Aleksander Knauerhase“

Es gab folgende Reaktion, die ich hier auch wieder nur in Teilen zitiere:

„wenn es sich terminlich nicht einrichten läßt, unseren Vorschlag zu realisieren, ist das bedauerlich, […] Das bedeutet aber nicht, dass unser Angebot nicht auch zu einem späteren Zeitpunkt weiter bestünde.“

Damit war mir klar: Aus einem Angebot meinerseits wurde ein Wohlwollen und Angebot des IfA.

„Was die Mitarbeiterin als mögliche weitere Teilnehmerin angeht, so handelte es sich, wie Sie richtig schreiben, um ein Angebot. Das können Sie selbstverständlich ablehnen[…] Aber kein Problem: die Kollegin hätte das Treffen ja unbezahlt in ihrer Freizeit als mögliches Entgegenkommen für Sie wahrgenommen; sie weiß ihre Zeit auch anders zu nutzen und freut sich über jede Entlastung.“

So wurde aus einem Angebot das ich abgelehnt habe ein Angriff gegen mich. Was diese Spitze sollte ist mir nicht klar. Aber schön wenn die autistische Mitarbeiterin nun mehr Freizeit hat. Ich freue mich ja auch über drei freie Tage die für das Treffen belegt waren.

„Ob Ihre Kenntnisse, Annahmen und Vermutungen zum Thema lernpsychologisch fundierter Programme („ABA“ gibt es, wie Sie wissen werden, in Deutschland praktisch nicht, da die entsprechende Grundlagenwissenschaft „Behaviour Analysis“ in Deutschland meines Wissens an keiner Hochschule gelehrt wird, daher gibt es zertifizierte „Behaviour Analysts“ hier auch nur als vereinzelte, im Ausland ausgebildete Kräfte.“

Ok, ABA gibt es also in Deutschland nur vereinzelt und hat nichts mit dem Bremer und dem Münsteraner Projekt zu tun. Ich verweise hier mal auf den Flyer des IfA in dem folgendes steht:

„Das BET (Anmerkung des Bloggers: Bremer Eltern Training)wurde 2002 von H. und R. Cordes nach dem wissenschaftlich evaluierten „Young Autism Project“ (Prof. Lovaas, Kalifornien) entwickelt und stellt ein für Deutschland neuartiges Frühförderkonzept für autistische Kinder dar.“

Die Wissenschaftlichkeit von ABA möchte man also haben, mit Lovass und ABA aber nichts zu tun haben? Der Flyer spricht eine andere Sprache.

Hier beende ich mal die Dokumentation. Das waren so die markantesten Stellen im Mailverkehr.

Wie Frau Dr. Ragna Cordes über Autismus denkt und was sicher zentrales Gut des BET (Bremer Eltern Trainings) ist zeigen zwei Zitate aus dem Medien:

„Kinder mit Autismus können nicht von sich aus lernen“ Zitat aus Zeit Wissen 03/2013: Bloß nicht zu nett sein

„Es geht darum, dass die Kinder ihr gelerntes autistisches Verhalten vergessen und ein neues Verhalten erlernen“ aus Gummibärchen für Paulo

Was bleibt mir noch zu sagen?

Mit meiner Absage erging auch ein erneutes Angebot an die Aktion Mensch:

„Mein Angebot an die Aktion Mensch bleibt bestehen: Ich informiere gerne über die Bedenken die Autisten bei solchen Therapieformen haben. Ich würde mich auch gerne austauschen, ob und wie man solche Bedenken und allgemein die Sichtweise der betroffenen Menschen im Rahmen eines Förderantrages bzw des Entscheidungsprozesses dazu einbinden kann. Ich denke hier kann man sicher, wenn nicht zwingend bei der Aktion Mensch (aber auch hier wird ja geprüft) dann bei den Wohlfahrtsverbänden, noch viel erreichen. Vielleicht ermöglicht die Aktion Mensch ja hier einen Gesprächstermin, ich würde mich sehr freuen!“

Ich erweitere mein Angebot zusammen Lösungen zu finden, dass auch die Projektvorschlager ( die sechs Wohlfahrtsverbände) besser über ABA informiert werden und dass in Zukunft solche Projekte besser, intensiver und informierter geprüft werden. Ich erhielt keine Antwort.

Prof. Dr. Röttgers teilte mir übrigens mit, dass auch das Projekt MIA (Münsteraner Intensivtherapie für Kinder mit ASS)  in Münster einen Förderantrag gestellt hat.

„Aber dieses Vorgehen bietet nun einmal die einzige wissenschaftlich belegte Möglichkeit der wirksamen Förderung – darum sind wir Aktion Mensch sehr dankbar für die Unterstützung des Bremer Projekts und hoffen im übrigen, dass Aktion Mensch auch die Weiterführung und -Entwicklung des Münsteraner Programms, das von der Hochschule bedauerlicherweise nicht mehr finanziert werden kann, unterstützen wird. Das Antragsverfahren läuft hier noch.“

Wie groß sind wohl die Chancen dass Autisten angehört werden, solche Projekte schärfer geprüft werden und nicht alles was große Verbände vorschlagen auch gefördert wird? Angesichts dessen, dass die Aktion Mensch sich neutral halten möchte, muss man wohl sagen: Nicht vorhanden.

Ich bin enttäuscht. Die Verantwortung auf die Wohlfahrtsverbände abzuwälzen und als Geldgeber sich neutral zu halten erzeugt folgendes Bild: Die Aktion Mensch entzieht sich der inhaltlichen Verantwortung und verlässt sich auf andere Verbände.

Wieder einmal zeigt sich folgendes Bild: Wenn es um Geld geht redet man doch lieber nicht mit den Betroffenen sondern nur mit denen die das Geld gerne hätten. Das ist weder Inklusion noch aktive Behindertenarbeit. Wir haben ein Recht gehört zu werden! Und wenn sich das schon nicht in § ausdrückt: Die moralische Verpflichtung bleibt!

Kleiner Nachtrag:

Bei ABA wird immer kritisiert, dass die Therapiezeit 30 bis 40 Stunden in der Woche betragen soll. Schaut man beim IfA nach liest man zum Bremer Eltern Training folgendes:

Um dem Kind möglichst viele, dem Lernen normaler Kinder vergleichbare Lernerfahrungen  zu ermöglichen muss die Therapie: […]
möglichst die gesamte Wachzeit nach einem Gesamtkonzept strukturieren (Lernen soll den ganzen Tag stattfinden).

Das autistische Kind befindet sich also die gesamte Wachphase in einem Therapieablauf.

Mich wunderte, dass man das Treffen von Bremen nach Münster verlegen wollte. Schaut man sich den Artikel Zeit Wissen 03/2013: Bloß nicht zu nett sein an findet man folgenden Satz:

Das Institut für Autismusforschung (IFA) liegt auf dem Campus der privaten Jacobs University und ist nicht mehr als ein Raum mit einer Kaffeemaschine.

Ein Schelm der nun denkt: „Die Aktion Mensch fördert einen Uniraum mit einer Kaffeemaschine mit 250.000 Euro“

Bin ich ein Schelm? Vielleicht!

Nachtrag 2:

Ich habe einen offenen Brief an die Aktion Mensch verfasst. Ihr könnt ihn hier finden und unterstützen, danke!