Gestern Abend, und schon im Vorfeld der Sendung, machte mir das was ich auf Twitter zu lesen bekam schon Angst. In der Sendung Beckmann sollte zum Thema Behinderung diskutiert werden und nur einer der Gäste soll selbst behindert sein. Da sträuben sich mir schon die Nackenhaare, schließlich gehöre ich zu der Fraktion: Redet nicht über sondern mit uns!

Gestern Abend lag ich schon im Bett als die Sendung ausgestrahlt wurde, in der Mediathek war heute früh noch nichts zu finden aber zum Glück wurde die Sendung auf 3sat wiederholt. Was ich heute früh über Twitter zu lesen bekam bereitete mir Magenschmerzen. Ich erwartete nichts Gutes.

Beim Wort genommen

Ich nehm das nun mal wörtlich und schreibe so einiges zur Sendung. Titel der Sendung war: „Was ist schon normal? Leben mit behinderten Menschen“

Was erwarte ich bei diesem Titel? Eine Diskussion über die Frage „Was ist eigentlich die Norm?“  und wie es eben ist mit behinderten Menschen zu leben.  Ich gebe zu: hier war ich zum ersten Mal verunsichert: Warum wurde, bei diesem Titel, angeprangert, dass nur einer der Gäste selbst behindert ist? Es geht um das Leben mit behinderten Menschen und nicht um das Leben als Mensch mit einer Behinderung. Einige Leser mögen nun denken: Man sollte aber mit den Menschen mit Behinderung reden und nicht nur über sie. Das stimmt. Was man dabei aber nicht vergessen darf: Auch Angehörige und Menschen die beruflichen Kontakt zu Menschen mit Behinderung haben dürfen, müssen und sollen zu Wort kommen können. Denn – zumindest für mich – ist eines klar: Jede Sichtweise auf das Leben hat seine Berechtigung und verdient gehört zu werden. Und so wie ich nicht möchte das jemand von außen über meine Behinderung befragt wird, so möchte ich auch Angehörigen nicht die Chance verwehren darüber zu reden wie sie das Leben mit einem behinderten Menschen erleben und welche Erfahrungen sie dabei gemacht haben. Es kamen übrigens viele Aspekte zur Sprache über die man nachdenken sollte. Als Beispiel möchte ich den Kampf mit der Bürokratie nennen den Angehörige oft zu führen haben.

Wenn ich schon dabei bin andere beim Wort zu nehmen: Leider kamen „beliebte“ Floskeln in der Sendung zum Tragen. Es wurde gelitten, man war an den Rollstuhl gefesselt, es wurde von „normalem Kindergarten“ und „normalen Schulen“ geredet, man redete vom „normalen Leben“ und auch Autisten wurde wieder einmal die Inselbegabung angedichtet. Nicht schön und absolut kritikwürdig. Das kann man besser machen und ich hoffe in Zukunft werden diese und andere Floskeln mehr und mehr aus den Medien verschwinden.

Autismus und die Fragestellung

Was mich wirklich aufgeregt hat waren zwei Fragestellungen des Moderators und eine extrem unglückliche Antwort ausgerechnet von dem Teilnehmer mit Behinderung der Psychologe ist.

Es wurde in der Sendung nach den Grenzen der Inklusion gefragt. In meinen Augen ist diese Frage ein Widerspruch in sich. Inklusion kann keine Grenzen haben. Hätte sie welche würde man automatisch wieder einen Teil der Menschen exkludieren. Welches Bild von Inklusion liegt einer solchen Frage zu Grunde? Ich vermute hier sind mindestens zwei Fehlannahmen der Grund.

Zum einen wird Inklusion noch viel zu sehr anhand der Themen- und Lebensbereiche Kindergarten, Schule und Ausbildung gesehen. Inklusion ist mehr, Inklusion ist eine Anforderung an die Gesellschaft umzudenken. Nur wenn die Gesellschaft inklusiv denkt kann Inklusion Wirklichkeit werden. Und dieses Umdenken braucht noch sehr viel Zeit.

Zum anderen geht man wohl davon aus, dass ein Kind das in eine Förderschule geht nicht inkludiert ist. Ich halte das für falsch. Inklusion ist für mich – in diesem Teilbereich – nicht die komplette Verschmelzung von Förder- und Regelschulen. Inklusion bedeutet für mich dass jeder Mensch das Recht darauf hat nach seinen Bedürfnissen und Fähigkeiten optimal gefördert zu werden. Und wenn eine solche Förderung in einer Förderschule besser bewerkstelligt werden kann ist das in meinen Augen kein Verstoß gegen inklusive Bemühungen. Schließlich, man möge mir diesen Vergleich verzeihen, steckt man ja auch keinen Hauptschüler in ein Gymnasium. Oder anders gesagt: Es wird immer Unterschiede im Schulsystem geben. Eben auch um den jeweiligen Schüler optimal zu fördern. Warum kann dann die Förderschule nicht auch Teil dieses „Regelschulsystems“ sein? Warum wird sie gedanklich immer ausgegrenzt und besonders behandelt? Ich denke hier sollte als erstes Mal ein Umdenken beginnen.

Ich möchte damit weder sagen das Kinder mit einer Behinderung doof sind noch das man den inklusiven Unterricht nicht fördern sollte. Ganz im Gegenteil. Man darf aber auch nicht vergessen, dass es eben Fälle gibt in denen eine Beschulung im Förderschulbereich wahrscheinlich optimaler ist.

Die zweite Frage die mich massiv störte war die nach dem lebenswerten Leben. Entschuldigung, aber wer sind wir bitte das wir entscheiden sollen was nun lebenswert ist und was nicht? Und gerade in Bezug auf die Thematik Behinderung hat diese Frage bei mir ein gewisses „Geschmäckle“.

Um den Aspekt „Was macht einen Menschen aus“ ergänzt wurde der Psychologe konkret zu seiner Meinung befragt. Ich weiß nun nicht wie er auf Körper und Seele kam, was dann folgte war allerdings unter aller Sau. Er brachte das Beispiel eines autistischen Menschen der in einer Selbsthilfegruppe einen anderen Autisten erschossen hat. Angeblich aus Eifersucht. Der Psychologe erklärte mit diesem Beispiel, dass der Autist zu etwas fähig geworden sei und Grenzen überwunden hätte. Er hätte plötzlich die Fähigkeit zum Morden gehabt. Öhm, ja klar. Und nun?

Ich habe hier nun schon viel über das Thema „Autismus und Amoklauf/Verbrechen“ gebloggt, das ist gerade mal ein Jahr her. Ich möchte mich hier nicht wiederholen. Daher belasse ich es bei einem Kommentar: Herr Fraberger: Auch Psychologen müssen manchmal noch viel über Autismus lernen bevor sie darüber reden sollten. Oder einfach ihre Beispiele ein wenig besser aussuchen.

Nach der Sendung ist vor der Sendung

Was kann man aus der Sendung lernen? Zum einen: Nicht alles was auf Twitter vorab scharf kritisiert wird ist auch durchweg Mist. Zum anderen: Es kamen sehr viele gute Gedankenansätze zur Sprache. Herr Hüppe hat hier durchaus das Gespräch mit so manchem guten Kommentar wieder umgebogen oder zumindest passend garniert.

Die Redaktion und auch Herr Beckmann können sicher noch einiges besser machen. Aber dafür gibt es Chancen in Form zukünftiger Sendungen. Und wenn mal wieder über Menschen mit Behinderung oder Behinderungen geredet werden soll: Vergesst nicht die Menschen zu fragen die Ahnung von dem Thema haben: Die Menschen die mit der entsprechenden Behinderung leben! Denn eines ist klar: Inklusion ist der erste Schritt zur Inklusion