Irren ist menschlich, aber auf Irrtümern zu bestehen ist teuflisch

Viele haben, wenn sie von Autismus schon einmal etwas gehört haben, das Bild eines Raymond aus dem Film Rain Man im Kopf. Ein Bild eines Menschen der eine einzelne ganz besondere Begabung hat, bei alltäglichen Dingen aber zum Scheitern verurteilt ist. Eine Beschulung in einer Regelschule: Unwahrscheinlich! Ein erfolgreiches Studium: Undenkbar! Wirklich? Nein!

Es gibt sie die studierenden Autisten, auch an der h_da! Ich bin einer von ihnen und ich könnte wetten, dass ich zwar als „komischer Kautz“ durchgehe aber nie für einen Autisten gehalten wurde. Ich kenne die Stolperfallen und Hürden die ein Autist an einer Hochschule zu überwinden hat und möchte diese ein wenig beschreiben. Zum einen um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es studierende Autisten gibt und wie man sie unterstützen kann, zum anderen um eine Tür zu öffnen um ein besseres miteinander zu ermöglichen und das unbekannte Wesen Autist besser zu verstehen.

Begleitung bedeutet Sicherheit

Wenn ich an die Zeit meines ersten Studiums an der h_da zurück denke und nun im Fachbereich nach mir fragt wird man wohl eine Antwort bekommen: Das untrennbare  Duo!  Ich hatte das unverschämte Glück, dass ich mit meiner Freundin zusammen das Studium des Informations- und Wissensmanagements antreten durfte.  Um zu verstehen wieso das ein elementares Glück für mich war, muss ich ein wenig über Autismus erklären. Autisten haben eine andere Wahrnehmung. Aufgrund dieser, genauer genommen ist es eine Reizfilterschwäche, nehmen sie alle Reize die auf sie einschlagen ungedämpft wahr. Nichtautisten filtern diese größtenteils unbewusst aus und nehmen sie nicht oder nur am Rande wahr. Dies führt zu einer permanenten Reizüberflutung. Diese ist es die einen Autisten verunsichert. Und genau hier setzt eine Begleitung an: Sie ist wie ein Anker auf rauer See. Man könnte auch sagen: Eine Sicherheit zum mitnehmen. Streng genommen für viele Autisten wahrscheinlich die elementare Chance sich gut auf das Studium konzentrieren zu können und es erfolgreich zu bewältigen. Ich hatte das seltene Glück das meine Freundin mit mir studieren konnte und auch wollte. Was machen aber Autisten die dieses Glück nicht haben? Es gibt die Möglichkeit der Begleitung. Der Autist wird dann von einer ausgebildeten Fachkraft begleitet und unterstützt. Keine Sorge liebe Mitstudenten: Bei Klausuren hilft auch eine Begleitung nicht.

Wichtig zu erwähnen ist: Wenn ein behinderter Mensch mit Begleitung unterwegs ist bedeutet das definitiv nicht, dass er nicht ansprechbar ist oder keine eigenen Entscheidungen treffen kann. Eine Begleitung ist immer nur eine Unterstützung. Also bitte keine Scheu oder Angst haben!

Missverständnisse sind vorprogrammiert

Im Umgang mit Autisten ist die Sprache besonders wichtig. Genau genommen: der bewusste und sehr genaue Umgang mit der Sprache. Zum einen verstehen viele Autisten Ironie nicht. So passiert es recht häufig, dass jemand beiläufig etwas ironisch sagt und ein Autist dann nicht weiß wie er damit umgehen soll. Wenn er dann nachfragt wie das gemeint sei ist das keine Verarschung sondern der Versuch die Situation eindeutig zu klären. Wenn ein Autist also nachfragt: Nehmt es nicht übel sondern erklärt es ihm. Er meint es nicht böse!

Wichtig zu erwähnen ist auch, dass Autisten Sprache wörtlich verstehen und Interpretationen schwer fallen. Gerade in Vorlesungen ist es daher wichtig, dass die Lehrenden eine eindeutige und klar definierte Sprache verwenden.

Häufig missverstanden wird auch der mangelnde oder zu kurze Blickkontakt von Autisten. Manche Autisten haben gelernt durchaus einen längeren Blickkontakt im Gespräch zu halten, aber es fällt immer wieder schwer. Wenn ein Autist also im Gespräch öfter einmal wegschaut oder nicht ständig den Blickkontakt hält ist das kein Ausdruck von Desinteresse oder geringer Wertschätzung der anderen Person.

Kontinuität ist wichtig

Neben der schon angesprochenen Begleitung die ja nur in den seltensten Fällen gewährt wird oder möglich ist, hat eine gewisse Kontinuität für Autisten eine beruhigende Wirkung und bringt ein Gefühl von Sicherheit. Der eher studenplanorientierte Studienablauf an einer Hochschule, im Vergleich zum Universitätsbetrieb, ist hier schon eine gute Hilfe und eine der Konstanten im Studienleben eines Autisten. Er weiß vorab was auf ihn zukommt, wie der Tag grob aussieht und was ihn erwartet.

Wichtig kann auch der Sitzplatz bei den Vorlesungen sein. Was für Nichtautisten, von der letzten Reihe mal abgesehen, eher unwichtig ist, kann für Autisten einen wesentlichen Aspekt ausmachen. Ich z.B. habe immer versucht auf dem gleichen Platz zu sitzen und hatte immer mindestens eine Wand oder ein Fenster neben mir. Damit war schon eine Konstante gegeben und ich konnte mich darauf verlassen das von einer Richtung sicher keine unerwarteten Reize kommen. Das entlastet unheimlich!

Ein großer Nachteil des Bedürfnisses nach Planung und Kontinuität zeigt sich im studentischen Leben außerhalb der Hochschule. Meine Kommilitonen haben sich gerne mal spontan nach den Vorlesungen zu Unternehmungen getroffen. Selbst wenn ich gewollt hätte: Ich konnte nicht teilnehmen. Derartige spontane und überraschende Änderungen im Tagesablauf verstören Autisten oftmals sehr. So kommt es dann auch, dass Autisten im Normalfall innerhalb der Kommilitonen eher als Einzelgänger und Sonderlinge wahrgenommen werden. Eigentlich traurig! Wie wäre es mit längerfristig geplanten Freizeitunternehmungen? Es ist normalerweise ja nicht der Event der den Autisten abschreckt, sondern vielmehr die damit verbundene zu kurzfristige Planänderung.

Teamfähig oder nicht

Auf Social Skills wird im Arbeitsleben immer mehr Wert gelegt. So auch auf die bedingungslose Teamfähigkeit. Da ist es weder verwunderlich noch negativ wenn diese Fähigkeiten auch schon im Studium vermittelt und gefördert werden. Hier kommen allerdings viele Autisten in Schwierigkeiten. Ich möchte als Beispiel mal ein Projekt oder eine Gruppenarbeit  nehmen die in einem Lehrfach im Rahmen eines Semesters zu bewältigen ist. Sich mit anderen abstimmen zu müssen bedeutet für einen Autisten zumeist Stress. Weniger fachlicher Natur, wobei Autisten gerne dazu neigen sehr hohe Ansprüche an sich und dann auch an die Kommilitonen zu stellen, sondern eher im Bereich Organisation. Sich einmal spontan treffen um sich abzusprechen ist schwer. Viele Studentengruppen, so meine Erfahrung, möchten sich dann auch außerhalb der Hochschule treffen. Dies ist auf zwei Wegen problematisch. Zum einen bringt es den Tagesablauf durcheinander, zum anderen und das war persönlich mein großes Problem kannte man die Treffpunkte oftmals nicht. Ich wohne nicht in Darmstadt sondern in Wiesbaden.  Ungeplant sich zu treffen ist sicher manchmal noch möglich, aber an einem Ort irgendwo in Darmstadt den ich nicht kenne, bei dem ich nicht weiß wie ich genau hinkomme, wo ich parken kann usw. wird dann schnell zu einem unüberwindbaren Hindernis. Nur wie erklärt man, dass etwas das für andere selbstverständlich ist einem Probleme bereitet? Das ist ein schwieriger Schritt, schwerer als man manchmal glaubt.

Mehr Semester => schlechterer Student?

Manchmal ist es einem Autisten nicht möglich mit dem normalen Vorlesungstempo mitzuhalten. So habe ich, dieses Mal unbegleitet von meiner Freundin, in meinem derzeitigen Masterstudium der Informationswissenschaften nie wesentlich mehr als 2 Seminare pro Semester belegen können. Mehr wären zu anstrengend gewesen. So nimmt man, zu Gunsten der besseren Noten, durchaus in Kauf länger als alle anderen Kommilitonen zu studieren. Es ist mir auch passiert, dass ich einen interessanten Kurs belegen wollte, zur ersten Veranstaltung hinging und ziemliche Angstausbrüche bekommen habe. Gewohnt war ich damals 10 Studenten in einem Seminar, das angesprochene war überlaufen. Alleine die Masse an Kommilitonen  und die Aussicht das man sich sehr schnell um Themen und Vorträge bemühen musste, die eigene Auswahl sich immer mehr einschränkte und man nehmen musste was übrig blieb und nicht das was einem lag erzeugt unheimlichen Stress. Ich musste den Kurs abbrechen und darauf verzichten. Alleine um mich selbst zu schützen. Auch durch so etwas verlängert sich u.U. die Studienzeit. Problematisch wird es wenn man sich dann später bewerben möchte, eine TOP Abschlussnote hat und trotzdem begründen muss warum man denn derart lange gebraucht hat für sein Studium. Leider wird lange Studienzeit immer noch automatisch mit Bummelstudent verbunden.

Ich kann, aus meiner Erfahrung heraus, jedem Autisten der gut durch sein erstes Studium an der h_da gekommen ist ein Masterstudium nur empfehlen! Ich war begeistert von den wesentlich kleineren Seminargruppen und der anderen Art und Weise wie im Masterstudium gearbeitet wird. Es wird viel mehr Wert auf eigenständige und produktive Arbeit gelegt. Man steht, zumindest habe ich diese Erfahrung gemacht, mit den Professoren eher auf einer Augenhöhe. Natürlich mit dem entsprechenden gegenseitigen Respekt! Aber die, bei mir aus dem Diplom, bei anderen aus dem Bachelor bekannte, „Lehrer Schüler Konstellation“ zeigt sich im Master bei weiten nicht mehr so stark. Und gerade das man eigenständig wissenschaftliche Aspekte erarbeitet und nicht primär nur wiederkäut was einem vorgetragen wird ist für mich persönlich eine wundervolle Arbeitsumgebung.

Wer sich nun fragt was der Titel zu diesem Beitrag mit selbigem verbindet:

Nichts  oder Falsches über Autismus zu wissen ist nicht schlimm: Errare humanum est!

Auf seinen Stereotypen zu beharren und nicht dazu zu lernen dagegen schon: sed in errare perseverare diabolicum!