Im Moment scheint es mir so, als wäre es Mode von allen Seiten auf das Thema Autismus einzuprügeln. Man bekommt – gefühlt – gar keine Atempause mehr zwischen den medialen und öffentlichen Einschlägen.

Zwar schon älter aber irgendwie jetzt auf meinem Radar erschienen ist ein dpa Artikel der u.a. bei T-Online  veröffentlicht wurde.

Ich möchte gar nicht auf die ganzen, fast schon gewohnten, Fehlinformationen darin eingehen. Was mich jedoch wütend macht ist folgende Aussage von Frau  Kamp-Becker:

Und man muss hier tatsächlich von „leiden“ sprechen, da ist sich Inge Kamp-Becker von der Universität Marburg sicher. „Denn auch wenn vor allem im Internet vielfach eine Sichtweise propagiert wird, die Autismus als eine neue Form des Daseins beschreibt und die Symptome von autistischen Störungen ins Positive umformuliert, so bestehen in der Regel doch starke Schwierigkeiten, an der Gesellschaft teilzunehmen und sich zu integrieren.

Im bösen Internet gibt es also tatsächlich Autisten – ich wette vielen spricht man noch eine Diagnose ab – die etwas Positives an ihrem Autismus finden und das so beschreiben? Was sollen diese Grabenkämpfe seitens Diagnostikern gegenüber Autisten die sich zu Wort melden? Sind wir hinterher vielleicht auch noch dran schuld, wenn die Gesellschaft Autismus als „nicht so schlimm“ ansieht? Wie können wir nur, wir haben zu leiden und Autismus ist nun einmal eine ganz schlimme Behinderung. Was hier wieder vergessen wird: Auch wenn ich etwas Positives in meinem Autismus sehe und das auch kommuniziere…bedeutet das nicht, dass ich nicht auch Schwierigkeiten habe an der Gesellschaft und dem alltäglichen Leben teilzunehmen. Ich mal nur nicht alles und ausschließlich schwarz. Ein ganz persönlicher Grund dafür: Eltern die Angst vor Autismus zu nehmen und zu zeigen dass eine Diagnose weder ein Weltuntergang ist noch die Zukunft vom Kind zerstört wird. Sie wird nur anders als geplant.

Anscheinend fürchten aber so manche Fachärzte ihre Exklusivität bei der Thematik Autismus. Warum sonst sollte man Autisten dafür angreifen dass sie über ihr Leben als Autist schreiben?

Weiter ging es Anfang der Woche mit einem Artikel im Wiesbadener Kurier

Titelt die Printausgabe noch wie folgt:

„Ich habe keine Angst vor meinem Sohn“

SICHERUNGSVERFAHREN Oleg griff seinen Vater mit dem Messer an / Ist er damit auch für die Allgemeinheit gefährlich?“

wurde der textidentische Inhalt schon am Tag vorher online so betitelt:

„Prozess in Wiesbaden: Autist Oleg attackierte seinen Vater mit dem Messer – Ist er damit für die Allgemeinheit gefährlich?“

Was fällt auf? Print benutzt Tatsachen im Titel. Der Vater sagt das er keine Angst vor seinem Sohn hat der ihn mit einem Messer attackiert hat. Vor Gericht muss nun beschlossen werden ob der junge Mann für die Allgemeinheit gefährlich ist. Traurige Geschichte, aber hier wird ein neutral gestalteter Titel veröffentlicht.
Online hingegen fällt die Aussage des Vaters weg, aus dem jungen Mann wird ein Autist und daraus entsteht die Frage nach der Gefährlichkeit für die Allgemeinheit.
Wieder einmal wird ein kausaler Zusammenhang zwischen Autismus und einer „Gefährlichkeit für die Allgemeinheit“ bewusst betont und hervorgehoben. Dass es auch anders geht zeigte ja die Printausgabe.
Warum also dieser Ausrutscher? Hatte der CvD Print vielleicht etwas mehr Fingerspitzengefühl bei der Titelsuche? Und wer verantwortet den unsäglichen Onlinetitel?
Beide Artikel schließen leider mit einem traurigen Absatz:

Oleg kann zum Entschlüsseln seiner Person und seines Verhaltens wenig beisteuern.
Nichts, was Außenstehenden seine Welt erklären könnte. Wie will man ihm gerecht werden? War die Tat der „Ausrutscher“ eines Autisten? Oder Ausdruck von Gefährlichkeit?

 

Zeigt dieser Absatz doch klar was hier schief läuft:

Man versteht Autismus und Autisten nicht. Es ist aber anscheinend Aufgabe des Autisten möglichst verständlich und normgerecht zu kommunizieren was in ihm vorgeht.

Das eine Messerattacke, unbeachtet der Hintergründe, zum Ausrutscher wird wenn ein Autist beteiligt ist stimmt mich nachdenklich. Bin ich vielleicht doch eine Gefahr für die Allgemeinheit ohne dass ich es weiß? Oder darf ich mir als Autist so alles erlauben weil ich der „arme behinderte Autist“ bin?

Was bleibt ist der fade Beigeschmack dass Autismus eben doch eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen könnte.

Den größten Einschlag jedoch hinterließ heute früh die aktuelle Ausgabe des Spiegel (35/2014). Was im Inhaltsverzeichnis noch als „Psychiatrie Wird Autismus zur Modediagnose?“ auftaucht entpuppt sich dann auf Seite 102 als:

„Flattern, quieken, zucken“

Ich weiß nicht mehr was ich als erstes fühlte. War es pures Erstaunen über einen so nicht erwarteten journalistischen Fehlgriff? War es Empörung darüber das Autismus und Autisten nun auf ein bestimmtes Verhalten –Stimming- reduziert werden? Oder war es schon die Trauer darüber, dass man anscheinend Vokabular aus dem Tierreich benutzt wenn man über Autismus und Autisten redet? Flattern verbindet man ja doch eher mit gefiederten Flugtieren und quieken mit mehr oder weniger großen rosa bis schwarz gefärbten Vierbeinern. Kurzum ich empfinde diesen Titel im wahrsten Sinne des Wortes als unmenschlich.

EDIT: Wie unglücklich dieser Titel geworden ist sieht man weiter hinten im Artikel. Dort wird Jim Sinclair vom Autism Network International zitiert:

Gewiss, Autisten fielen durch mancherlei auffälliges Verhalten auf: „Wir flattern, schnippen, schaukeln, klatschen, hüpfen, krümmen und scheuern uns, wir quieken, summen, schreien, zischen und zucken“, unglücklich aber seien sie deshalb noch lange nicht.

Ich frage mich: Wenn man flattern, quieken und zucken aus dem Zitat als Titel nimmt, warum nicht schaukeln, klatschen, hüpfen? Zu fröhlich besetzt für einen Artikel über Autismus? Wie man wieder sieht: Aus einem Zitat kann man zwei ganz unterschiedlich gefärbte Aussagen extrahieren. Die eine ist düster, belastend und leidend, die andere hingegen schon fröhlicher, Lebenszugewandter und dynamischer.

Aber auch im Artikel finden sich Stellen die ich als bedenklich bezeichnen würde:

 „Wie eine Seuche geht der Autismus um in Amerika.“

In Zeiten in denen Husten und Fieber schon an Ebola denken lassen (der nachfolgende Artikel im Heft geht darüber) und ganze Seuchenschutztrupps ausrücken ist es natürlich ok von einer Seuche zu sprechen. Ist es das? Ich finde nicht. Immerhin benutzt man das Wort Seuche im Zusammenhang mit hochansteckenden Infektionskrankheiten. Autismus ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung. Ich entschuldige mich aber trotzdem bei all denen die ich, ganz ungewollt und unbewusst, mit Autismus angesteckt habe. Und ich werde mich wohl ein Leben lang fragen müssen: Wo habe ich mir Autismus geholt? War es im Ausland? Auf einer Gaststättentoilette? Oder war es der komische Junge in der Schule der immer so rumgehustet hat?

Was früher noch als „seltenes Kuriosum“ in der Arztausbildung bezeichnet wurde betrifft, glaubt man dem Spiegel, nun

„Eines von 88 Kindern, so mahnte vor zwei Jahren das US-Seuchenkontrollzentrum, leide unter dem unheimlichen Syndrom.“

Was ist an Autismus so unheimlich? Und will man hier wieder Ängste schüren? Immerhin ist etwas das einem unheimlich ist auch gleichzeitig etwas das einen bedrohen könnte.

Woher dieser „Sprech“ kommen könnte erfahren wir schon im nächsten Absatz:

„Autism Speaks“, die einflussreichste der vielen Autismus-Lobbygruppen, verweist auf eine besonders gründliche Erhebung aus Südkorea. Dort wurde jedem 38. Kind das Leiden attestiert.

Ok, wenn Autism Speaks das sagt…muss was dran sein. Besonders wenn es eine besonders gründliche Erhebung ist! Kein Wort davon, dass Autism Speaks genetisch forscht und Autismus via vorgeburtlicher Früherkennung ausrotten möchte. Wenn Autismus nicht so weit verbreitet wäre müsste man das ja nicht, gell? Über Autism Speaks habe ich auch schon gebloggt.

Angesichts dieser Zahlen kommt man zum Schluss:

Autismus ist ein rätselhaftes, ein verstörendes Phänomen.

Es folgen zahlreiche „Symptome“ von Autismus die man kurz unter auffälligem und unerwünschtem Verhalten zusammenfassen kann. So wird es zumindest oftmals in der Literatur beschrieben und auch von Menschen beschrieben die mit Autisten in Kontakt gekommen sind (und sich hoffentlich nicht an dieser Seuche angesteckt haben!).

Weiter geht es mit dem Thema fehlender Augenkontakt und in Zusammenhang damit auch mit folgendem:

Gerade die emotionale Taubheit ihrer Kinder macht Autismus für die Eltern so unerträglich. Was ist schwieriger, als Liebe zu geben, die nicht erwidert wird?

Ich sage nur eines: emotionale Taubheit ist als Erkenntnis das Resultat mangelnder Empathie Autisten gegenüber. Ich könnte auch schlichtweg sagen: Falsch beobachtet und nicht in die bekannte Norm passend also gehen wir mal davon aus das es so ist und hinterfragen das nicht. Vielen Dank liebe Gesellschaft!

Der zweite Satz tut mir weh. Sagt er jedoch eines aus: Man kann sein autistisches Kind nicht lieben weil es einen selbst, zumindest offenkundig nicht, liebt?  Wie traurig ist das denn? Ich frage mich da wirklich wer hier emotional Taub bzw. blind ist. Und warum wie Liebe auf genormten Kommunikationswegen vorausgesetzt? Ist nicht gerade Liebe etwas das seinen Weg findet und das man fühlen kann und sollte?

Was sagt mir all das hier? Autismus ist auf der einen Seite anscheinend ein prima „Leser“bringer. Warum sonst sollte man in der Onlineausgabe Autismus extra in den Titel hieven? Autisten die sich zu Wort melden scheinen für einige Diagnostiker und Fachärzte langsam bedrohlich zu sein. Vielleicht weil sie merken, dass die Innensicht eben nur von Autisten kommen kann und den Vertretern der Außensicht nur allzu oft den Spiegel vorhält? Nicht zuletzt ist Autismus anscheinend eine so rätselhafte, unheimliche und verstörende Seuche dass einem Redakteur vom Spiegel die Worte fehlen und er zu Lauten greifen muss um seinem Autismusartikel einen Titel zu geben:

Flattern, quieken, zucken

All das hinterlässt in mir eine Traurigkeit und die Gewissheit darüber, dass die Gesellschaft wieder einmal mehr Autismus mit „Gefährdung für die Allgemeinheit“ , „Seuche“ und „Bedrohung“ verbinden wird. Dabei bin ich doch nur eines: Ein Mensch.