Ich stehe als Person schon länger klar zu meiner Meinung. Von mir wird es auch zu schwierigen, weil brisanten, Themen eine klare Positionierung geben. Wer mich auf ABA angesprochen hat bekam auch eine klare Stellungnahme dazu was ich von dieser „Therapie“ halte. Bisher übte ich die Kritik allerdings eher aus Sicht eines Autisten und was ich als Mensch davon halte. Seitdem ich Inklusionsbotschafter bin finde ich es jedoch auch notwendig mal die Seite Menschenrechte und UN-BRK genauer zu beleuchten. Nicht das mir das vorher egal gewesen wäre. Nein ich legte meinen Schwerpunkt nur auf die Erklärung aus der Innensicht und versuchte so ein Bewusstsein dafür zu schaffen wie problematisch ABA ist. Mit diesem Blogpost und der damit verbundenen Botschaft möchte ich meine Meinung nun um eine Facette erweitern. Ich bedanke mich ganz herzlich beim Vorstand von Autismus Mittelfranken auf deren sehr ausführliche und eindrücklich geschriebene Stellungnahme zum Thema ABA ich gerne verweise.

Als Inklusionsbotschafter ist es meine Aufgabe die Umsetzung der UN-BRK zu fördern und mich dafür einzusetzen. Zum Einstieg möchte ich gerne Artikel 1 der UN-BRK zitieren:

Zweck

Zweck dieses Übereinkommens ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern.

Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.

 

 

Bei Menschenrechten und Grundfreiheiten fallen mir zum Beispiel Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes ein.  Wenn ich mir die zahlreichen Videobeispiele von ABA Sitzungen anschaue frage ich mich schon ob hier

  1. die Würde der autistischen Kinder gewahrt bleibt wenn man bis zu 40 Stunden mit Ihnen im Befehlston immer wiederkehrend „erwünschte“ Handlungen konditioniert. Stellen Sie sich vor, dass sie von nahen Bezugspersonen ständig z.B. mit „Zeig Boden!“ traktiert werden. Finden sie das würdevoll und angemessen?
  2. Ob sich autistische Kinder die mit ABA konditioniert werden wirklich ihre Persönlichkeit frei entfalten können. Immerhin werden ihnen, von außen als unangemessen angesehene, Verhaltensweisen wie Stimming abtrainiert. Ungeachtet dessen, dass genau dieses Stimming –als Beispiel- eine natürliche und selbstgewählte Methode des Autisten ist sich zu regulieren. Eine Persönlichkeit kann sich nicht frei entfalten, wenn mittels Konditionierung Verhaltensweisen und Persönlichkeitsmerkmale fremdbestimmt antrainiert werden. Gleiches gilt für die „therapeutische“ Löschung von unangemessen empfundenen Persönlichkeitsteilen.
  3. Ob innerhalb einer ABA „Therapie“ die körperliche Unversehrtheit garantiert werden kann. Zum einen birgt das „Löschen“ von Stimming oder anderen regulierenden Verhaltensweisen die große Gefahr, dass es verstärkt zu Meltdowns und Shutdowns beim Autisten kommt. Diese können durchaus, bedingt durch Panik- und Fluchtreaktionen, auch selbstgefährdend sein. Aber nicht nur die körperliche Unversehrtheit steht auf dem Spiel, das gilt auch für die psychische Unversehrtheit. Ob der äußerlichen „Erfolge“ von ABA wird konsequent übersehen, dass die Autisten bedingt durch die Fremdprägung und Konditionierung verstärkt psychische Krankheitsbilder wie Depressionen entwickeln können. Dies liegt an dem Widerspruch zwischen an- bzw abtrainiertem Verhalten und den Bedürfnissen denen Autisten durch diese Konditionierung nicht mehr nachgehen können. Sie werden quasi dazu gezwungen sich ständig zu verbiegen und nicht so leben zu können wie sie es bräuchten.

 

Artikel 3 der UN-BRK greift obige Punkte teilweise auch noch einmal auf:

 

Allgemeine Grundsätze

Die Grundsätze dieses Übereinkommens sind:

a) die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde, seiner individuellen Autonomie, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, sowie seiner Unabhängigkeit;

b) die Nichtdiskriminierung;

c) die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft;

d) die Achtung vor der Unterschiedlichkeit von Menschen mit Behinderungen und die Akzeptanz dieser Menschen als Teil der menschlichen Vielfalt und der Menschheit;

e) die Chancengleichheit;

f) die Zugänglichkeit;

g) die Gleichberechtigung von Mann und Frau;

h) die Achtung vor den sich entwickelnden Fähigkeiten von Kindern mit Behinderungen und die Achtung ihres Rechts auf Wahrung ihrer Identität.

 

Wer mittels ABA in das Leben eines Autisten eingreift, verstößt meiner Meinung nach massiv gegen die Punkte a, d und h. Autistische Kinder und Erwachsene können aufgrund der fremdbestimmten Konditionierung weder die Unterschiedlichkeit ausleben noch die sich ihnen bietenden Fähigkeiten oder ihre eigentliche Identität bewahren. Auch ist die Freiheit eigene Entscheidungen zu treffen nachhaltig eingeschränkt da gewisse Entscheidungen von außen entweder hinzukonditioniert oder gelöscht werden.

Artikel 17 greift nochmal die Unversehrtheit auf und schließt ausdrücklich die seelische Unversehrtheit mit ein:

 

Schutz der Unversehrtheit der Person Jeder Mensch mit Behinderungen hat gleichberechtigt mit anderen das Recht auf Achtung seiner körperlichen und seelischen Unversehrtheit.

 

Wie man sehen kann: ABA ist im Lichte der UN-BRK betrachtet durchaus relevant und zu diskutieren. Außerhalb der UN-BRK kommen meiner Meinung nach noch folgende Kritikpunkte hinzu:

  1. Therapien gehören in die Hände von ausgebildeten Fachpersonen. ABA wird vorwiegend aber durch die Eltern oder vorwiegend studentische Co-Therapeuten praktiziert.
  2. Gerade bei einer derart eingreifenden Therapieform wie ABA ist es zu beanstanden, dass nahestehende und weitestgehend ungeschulte Personen diese durchführen. Eine Trennung von Wünschen der Therapieausführenden und den Bedürfnissen des therapierten ist nicht sicher gewährleistet.
  3. Gerade im heimischen Umfeld und bei nahestehenden Vertrauenspersonen wie den Eltern oder Geschwistern sollte Therapiefreiheit herrschen. Ein autistischer Mensch hat bei einer Therapie in seinem Zuhause keine Chance sich dieser zu entziehen oder auszuweichen. Das Vertrauensverhältnis zu eben diesen Personen kann durch eine Durchführung einer Therapie nach ABA nachhaltig gestört werden.
  4. Beim Vorgang der „Löschung“ werden Eltern dazu aufgefordert „unerwünschtes Verhalten“ durch konsequentes Ignorieren des Kindes zu korrigieren. Man könnte hier -bösartig gesagt- davon ausgehen, dass Autismus bzw durch ihn ausgelöstes „unerwünschtes Verhalten“ durch eine Kühlschrankmutter die ihr Kind ignoriert und schreien und weinen lässt korrigiert werden könnte. Früher sagte man noch, dass genau solches Kühlschrankmutterverhalten Autismus verursacht. Der durch die ABA Methode erzwungene Entzug von Nähe, Liebe und Zuneigung als Mittel innerhalb einer „Therapie“ ist keine Lösung und treibt letztendlich einen weiteren Keil in die vertrauensvolle Verbindung zwischen Mutter und Kind und nimmt einem autisitschen Kind einen weiteren Sicherheitsfaktor im Alltag.

Schaut man sich Artikel 4 der UN-BRK an findet man folgendes:

 

Allgemeine Verpflichtungen

 

(1) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die volle Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen ohne jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu gewährleisten und zu fördern. Zu diesem Zweck verpflichten sich die Vertragsstaaten,

a) alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Umsetzung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte zu treffen;

b) alle geeigneten Maßnahmen einschließlich gesetzgeberischer Maßnahmen zur Änderung oder Aufhebung bestehender Gesetze, Verordnungen, Gepflogenheiten und Praktiken zu treffen, die eine Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen darstellen;

c) den Schutz und die Förderung der Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen in allen politischen Konzepten und allen Programmen zu berücksichtigen;

d) Handlungen oder Praktiken, die mit diesem Übereinkommen unvereinbar sind, zu unterlassen und dafür zu sorgen, dass die staatlichen Behörden und öffentlichen Einrichtungen im Einklang mit diesem Übereinkommen handeln;

 

Ich persönlich sehe hier die Deutsche Bundesregierung in der Verpflichtung für folgendes zu sorgen:

  1. Nach Artikel 4, Absatz 1, Punkt b) dringend zu prüfen, ob ABA in Zukunft nicht mehr durch öffentliche Organe und Stellen finanziert und damit unterstützt wird.
  2. Nach Punkt d) ebenfalls zu prüfen, ob ABA als Therapieform sowohl mit den Grundrechten wie auch mit der UN-BRK als unvereinbar anzusehen ist und daraufhin möglicherweise nicht mehr in Deutschland durchgeführt werden darf.

Ich wünsche mir, dass noch viele Verbände, Organisationen und Autisten aufstehen und klar Stellung zu ABA beziehen. Ich möchte dazu beitragen ein Zeichen zu setzen, dass ABA die Würde von autistischen Menschen verletzt und nicht dem Wohle der therapierten Autisten dient. Eine Therapie kann nicht dazu gemacht sein Menschen fremdbestimmt auf Norm zu biegen. Sie muss Menschen in ihrem Alltag unterstützen und Hilfestellungen anbieten.