Im Rahmen der Reihe „ZDF Montagskrimi“ lief am vergangenen Montag der Film „Unter anderen Umständen: Der Mörder unter uns“. Er wäre wohl an mir vorbeigegangen wenn nicht eine Stellungnahme von Autismus Deutschland e.V. gegenüber einer Nachrichtenagentur bei der Welt veröffentlich worden wäre.
Zugegeben: Ich bin, gerade was in den letzten 3 Monaten in den Medien rund um das Thema Autismus stattgefunden hat, skeptisch und auch mit einer Sorge an den Film herangegangen. Um nicht zu sagen: Es bereitete mir Magenschmerzen in der Mediathek diesen Krimi ansehen zu müssen um mir ein eigenes Bild zu machen. Im Nachhinein kann ich aber sagen: Es hat sich gelohnt.
Es geht um eine Nebenrolle in diesem Film: Anton Seidel. Er ist Asperger-Autist und wird von seiner Mutter als Eigenbrödler bezeichnet. Er ist, so erfährt man im Laufe der Ermittlungen, wegen Wutanfällen in Behandlung. Sie werden mehrfach als extrem bezeichnet und, so ist mein Eindruck, es wird der Eindruck vermittelt, dass es sich hier um einen ausgeprägten Einzelfall handelt. Bemängeln könnte man an dieser Stelle folgendes: Es wird nur auf das sichtbare Symptom der Wutanfälle eingegangen aber nicht auf die Ursache dahinter. Hier muss man sich aber auch die Frage stellen: Kann dies ein Drehbuch bei einer Nebenrolle wirklich leisten?
Was mich persönlich gestört hat, war die Aussage der Psychologin Asperger sei eine milde Form von Autismus. Was ich von „mild“ und „scharf“ halte kann man hier nachlesen.
Ein schlechtes Bild auf die Rolle des Anton Seidel und seine Behinderung Autismus könnte die nicht direkt sichtbare Szene im Film werfen, in der er aus einer Therapiesitzung gewaltsam abhaut. Aber nur wenn man dies so isoliert betrachtet. Denn, und das muss ich dem Film hoch anrechnen, es wird mehrfach und auch in diesem Zusammenhang betont, dass Autisten Sicherheit brauchen und suchen. Die Flucht, und teilweise auch die Gewaltausbrüche, sind eben doch nur ein Ausdruck der Suche nach Sicherheit und Beständigkeit. In meinen Augen wird das in dem Film, sofern man dies darstellen konnte, auch gut vermittelt.
Was mich wirklich an der Darstellung gestört hat ist das leicht animalische verhalten des Anton Seidel. Er sitzt in einer Szene auf einem Baum und bewegt und artikuliert sich so, dass man an einen Affen denken könnte. Auch sein Bewegungsbild zwischen den Autoreifen bei der Suche nach der Waffe erinnert mehr an einen Affen als an einen Menschen.
Zusammengefasst: Der Film macht einiges richtig indem er z.B. darauf hinweist das Autisten zum einen Sicherheit brauchen und suchen und zum anderen die Wutausbrüche sich, wenn sie denn auftreten, oftmals gegen sich selbst und nicht gegen anderen richten. Etwas das in den wenigsten Filmen in denen Autismus thematisiert wird zur Sprache kommt! Kritisieren kann und muss man, das Asperger bzw Autismus überhaupt erwähnt wird. In meinen Augen ist es nicht nötig eine Diagnose oder Behinderung zu nennen um die Rolle des Anton Seidel mit Leben und Inhalt zu füllen. Warum ist man nicht bei dem Eigenbrödler geblieben der zu Wutausbrüchen neigt die sich oftmals einfach nur gegen sich selbst richten? Das hätte vollkommen gereicht. Auch um den Tatverdacht auf ihn zu richten. Liebe Drehbuchautoren: Beachtet das in Zukunft! Diagnosen interessieren die meisten Menschen nicht, es ist das Verhalten das ein Mensch zeigt!
Nachdem ich den Film also nun gesehen habe, wundert mich ein wenig der Aktionismus des Bundesverbandes zur Förderung von Menschen mit Autismus.
Im Artikel der Welt ist folgendes zu lesen:
Ein junger Mann mit Asperger-Syndrom wird des Mordes verdächtigt – und als ein gefühlskalter, debiler Autist dargestellt.
Auf mich macht die Rolle des Anton Seidel in keinster Weise den Eindruck gefühlskalt oder debil zu sein. Zum einen war er wohl sehr lange und intensiv emotional mit der ermordeten jungen Frau verbunden. Er suchte ihre Gesellschaft (und damit auch seine Sicherheit!) und war mehr als verwirrt nachdem sie ermordet wurde. Für mich ist das nachvollziehbar und verständlich. Ein Teil seines Lebens geriet hier aus den Angeln. So sehr, dass er am Ende des Filmes mit der Waffe des Polizisten den vermeintlichen Mörder erschießen wollte. Auch hier wieder: Wie kann ein gefühlskalter Mensch die Emotionen die sein Vater verbreitet aufnehmen und verinnerlichen? Da beißt sich was!
Debil. Was bedeutet debil eigentlich? Auf die intellektuelle Leistungsfähigkeit des Charakters wird aber in keinster Weise in dem Film eingegangen. Es wird nur erwähnt dass er Legastheniker sei. Dies wiederum ist eine gesonderte Behinderung losgelöst vom Autismus. Man sollte auch nie aus den Augen lassen: Legastheniker sind nicht automatisch auch „dumm“. Auch das ist nämlich ein Vorurteil. Welche Anhaltspunkte bleiben noch dass die Rolle evtl. debil sein könnte? Ich selbst konnte keine finden. Mangelnde Sprache – man hört Anton im Film niemals sprechen – ist kein Anzeichen. Und eigentlich müsste man, alleine aufgrund der Diagnose Asperger-Syndrom, davon ausgehen das der junge Mann nicht nur sprechen kann sondern auch eine schnellere Sprachentwicklung durchlaufen hat. Und das sollte auch ein Bundesverband Autismus wissen!
Weiter heißt es in dem Artikel der Welt:
Es wird sehr klischeehaft und verkürzt mit dem Thema ‚Autismus‘ umgegangen. Wir werden uns diesbezüglich beim ZDF über die Ausstrahlung dieser Produktion beschweren, zumal sich das ZDF, als öffentlich-rechtlicher Sender, einer besonderen Sorgfaltspflicht und natürlich auch einer dementsprechend größeren Verantwortung bewusst sein sollte.
Dem kann ich in einem Punkt zustimmen: Die Diagnose Autismus wäre nicht nötig gewesen. Das war es dann aber auch schon. Sowohl die vom Bundesverband gesehene Gefühlskälte wie auch die Debilität konnte ich selbst nicht nachvollziehen.
Es ist nur zwei Monate her, dass sich weite Teile der Gesellschaft über die Berichterstattung im Zusammenhang mit dem Amoklauf an einer Grundschule im amerikanischen Newtown, Conneticut verärgert zeigten. Dass der Täter Asperger-Autist war, wurde in einigen Medien in einen „kausalen Zusammenhang“ mit der Tat gestellt, was der Verband bereits damals „auf das Schärfste“ verurteilte.
Das stimmt. Man muss aber auch bedenken: Der Film wurde sicher weit vor diesem Ereignis geplant und gedreht. Und ja: der Verband hat damals die Medienberichterstattung kritisiert. Aber erst nachdem Blogger dafür gesorgt haben das auf diese Problematik aufmerksam gemacht wurde. Und was ist mit den ganzen anderen medialen Vorfällen? Als Autist fühle ich mich da nur allzu oft sehr allein gelassen. Wo sind da die scharfen Verurteilungen des Bundesverbandes? Ich konnte keine finden!
Alles in Allem bleibt ein fader Beigeschmack bei dem Artikel der Welt. In meinen Augen interpretiert der Bundesverband zur Förderung von Menschen mit Autismus Dinge in eine Nebenrolle hinein die so, oder nicht in dieser Ausprägung und Stärke, vorhanden sind.
Ich stelle mir sogar die Frage: Leistet uns Autisten der Bundesverband in diesem Fall nicht einen Bärendienst? Er bringt Vorurteile wie „gefühlskalt“ und „debil“ ins Spiel. Etwas an das viele Zuschauer wohl gar nicht gedacht hätten. Was bleibt ist die negativ belegte Diskussion um einen Film der gar nicht so schlecht war und nur den Fehler machte eine Diagnose zu nennen wo keine für die Handlung nötig war.
Update 20.02.2013
Ich möchte, auch damit mein Text nicht falsch verstanden wird, noch etwas hinzufügen:
Ohne Zweifel: Die Diagnose Asperger-Syndrom hätte nicht erwähnt werden sollen. Das führt, in Zusammenhang mit dem „affenähnlichen“ Auftreten der Rolle in zwei Szenen, zu Bildern die Autismus nicht entsprechen! Deshalb ja auch mein Rat: Auf Diagnosen verzichten solange sie nicht unabdingbar für den Storyplot sind!
Worauf ich mit meinem Blogpost eigentlich hinweisen möchte: Vielleicht muss man, gerade Filme „über Autismus“ oder mit autistischen Rollen, bewusst unbefangen ansehen. Also ohne die ganzen Vorurteile im Hinterkopf.
Wie gesagt: Ich finde zum Beispiel keinerlei Gefühlskälte bei der betreffenden Rolle. Und mir persönlich ist es ein Rätsel wie man sie dahinein interpretieren kann.
Wenn man aber Gefühlskalt als Vorurteil über Autisten im Bewusstsein hat und sieht dann einen Autisten der gespielt wird: Sieht man unter Umständen eine vermeintliche Gefühlskälte viel schneller als alle anderen. Eine Gefühlskälte die vielleicht gar nicht vorhanden ist.
Uns prägen alle Vorurteile. Die einen weil sie sie haben, die anderen – hier die Autisten – weil sie ständig damit konfrontiert werden. Man hat sie im Kopf. Es wäre nur schade, wenn sie einen derart bestimmen, dass man sie quasi überall bestätigt sieht.
Wer mich kennt und diesen Blog liest weiß, dass ich bei Medien die Autismus und Gewalt verknüpfen sehr direkt sein kann. Hier kenne ich auch wirklich keine Toleranz! Die besten Beispiele sind ja die letzten Monate. Bei aller Empörung muss man aber aufpassen ob solche Verknüpfungen explizit, bewusst und reisserisch getätigt werden oder vielleicht nur in den Zusammenhang interpertiert werden.
Ich hoffe es ist verständlich was ich mit diesem Blogpost inkl. Update sagen möchte.
Vielen Dank für deine – wie immer – den Kern herausschälenden Worte!!!
Hab ja schon bei Sabine kommentiert, hier nochmal die Kurzfassung:
– ein Autist, der nicht spricht, ist in der Regel kein Aspie
– kein Mensch ist so talentiert, daß er nach ein paar Probeschüssen mit der Pistole ein festgelegtes Ziel mehrere Stunden später problemlos trifft (besonders, wenn Ablenkung durch andere Menschen da ist)
Meines Erachtens sind in dem Film mehrere Personengruppen in den Dreck gezogen worden – die Autisten kamen dabei noch eher glimpflich davon.
Ich glaube sowieso, dass Krankheiten und Behinderungen von fiktiven Figuren in den allermeisten Fällen nur dazu dienen, die Leere mit „Inhalt“ zu füllen. Aus diesem Grund mache ich meistens einen riesengroßen Bogen um solcherlei.
Ein Paradebeispiel ist für mich „Der Professor“ von John Katzenbach, in dem der Hauptcharakter plötzlich irgendeine Gehirnkrankheit entwickelt, Dinge vergisst (bzw. laut Prognose sollte) und Stimmen hört. Der gesamte Thriller baut darauf auf, dass ihn diese Stimmen mysteriöserweise zum Mörder führen. Ansonsten spielte die Krankheit absolut keine Rolle.
Und wenn’s um autistische Figuren geht, dann dient der Autismus meist auch nur dazu, die Figur entweder „komisch“, „unnahbar“ darzustellen oder gar durch „Superkräfte“ Fälle zu lösen, die ein Normalsterblicher nie gelöst bekommen hätte.
Für mich also meistens ein Zeichen für Ideenlosigkeit oder Talentlosigkeit des Autors.
Die einzige Serie, die mir momentan einfällt, bei der ich die Krankheit/Behinderung richtig gut fand, war „Die Brücke – Transit in den Tod“. Kennst du das? Interessanterweise wurde nicht ein einziges Mal in der Serie erwähnt, dass die Protagonistin Autistin ist. Jedenfalls habe ich das nicht mitbekommen. Die Figur war erstaunlich „normal“. Hatte keine Superkräfte oder Anfälle, sondern hat ihre Fälle mit Ehrgeiz und ganz normalem Können gelöst.