Mit dem letzten Beitrag habe ich den Themenkomplex Autismus und Wahrnehmung vorerst abgeschlossen. Ich möchte mich in den kommenden Beiträgen dem Bild von Autismus in der Öffentlichkeit und Fragen zum Autismus widmen. Ich werde aber nicht nur die Definition von Autismus durch Nichtautisten kritisch beleuchten, fairerweise werde ich in den kommenden Wochen auch die Autisten und ihr Verhalten kritisch betrachten.

Ich habe in den letzten Wochen viel Feedback bekommen und sehr viele, teilweise sehr intensive, Gespräche zum Thema Autismus mit Interessierten gehabt. Im Rahmen dessen sind mir auch einige Punkte aufgefallen die ich jetzt ansprechen möchte.  Eine Bekannte hat mich z.B. überraschenderweise gefragt ob ich wüsste welche Ansprüche und Anforderungen alte Autisten an Alten- oder Pflegeheime haben. Wie mir recht bald auffiel: Ein Thema über das man sich in der heutigen Gesellschaft noch keine bis nur wenig Gedanken gemacht hat. Ich wollte den Spieß dann einmal umkehren und so habe ich sie gebeten ihre Kollegen mal zu fragen was sie überhaupt über Autismus wissen. Um es zusammen zu fassen: Es ging die leicht panische Angst um das ein Autist ins Haus kommt. Warum sollte man sonst nach Autismus fragen? Was wieder zeigt: Die Öffentlichkeit und noch schwerwiegender: Die Fachkräfte sind nicht genügend über Menschen mit Autismus aufgeklärt!

Ich möchte mich mit diesem Beitrag dem Bild von Autismus in der Öffentlichkeit widmen. Natürlich hat auch dieses viele Facetten und ich kann in diesem Rahmen nur wenige Aspekte aufgreifen. Ich versuche mich der schlimmsten und verbreitesten Stereotypen anzunehmen.

Autisten sind Savants und haben eine Inselbegabung!?

Dieses Vorurteil ist sehr weit verbreitet und wohl nachhaltig durch den Film Rain Man geprägt. Was immer noch viele Menschen nicht wissen: Das Vorbild zur Rolle des im Film autistischen Raymond war kein Autist. Kim Peek war ein Savant und hatte eine Inselbegabung. Noch heute schreiben Journalisten in Verbindung mit Autismus über Savants und viele Eltern, so traurig das sein mag, versuchen den Autismus des Kindes damit zu relativieren indem sie sagen: Mein Kind ist ein Savant und kann etwas ganz besonderes.

Wenn man dann hinter die Kulissen schaut werden dann zumeist erlernbare Fähigkeiten wie das Kalenderrechnen genannt. Nur wie kann man etwas das erlernbar ist als Inselbegabung bezeichnen? Wenn es danach ginge hätten wir erheblich mehr als die geschätzten 100 Savants weltweit! Was viele Eltern dabei auch vergessen: Inselbegabung beschreibt eine einzigartige und abgekapselte Begabung eines Menschen. Ein Savant kann also evtl. durchaus mit je einem Auge unabhängig voneinander jeweils eine Buchseite lesen (Kim Peek konnte dies) aber bei allem anderen und alltäglichen wird er sich sehr schwer tun!

Autisten hingegen haben sogenannte Spezialinteressen. Diese unterscheiden sich erheblich von einer Inselbegabung. Spezialinteressen können wechseln und zahlreich vorhanden sein. Inselbegabungen nicht! Spezialinteressen beziehen sich auch zumeist auf Wissen und nicht auf körperliche oder geistige Fähigkeiten. So weiß ein Autist mit dem Spezialinteresse Astronomie wahrscheinlich unheimlich viel über das Thema. Das Wissen kann sich aber jeder Mensch mit genug Ausdauer und Wissensdurst auch anlesen. Man muss kein Autist sein um das zu können.

Man kann sich den Mund allerdings fusselig reden, viele bleiben bei Ihrem Vergleich Autisten und Savants. Schließlich seien ja 50% der Savants Autisten.

Ich habe mir deshalb mal den Spaß gemacht und ein wenig gerechnet:

Man vermutet weltweit rund 100 Savants. Davon haben ca. 50% eine Autismusdiagnose. Es ist also durchaus logisch und statthaft wenn man über Savants redet auch über Autismus zu reden. Hierbei sollte man allerdings nicht vergessen, dass oftmals aus Unwissenheit und mangelnder Alternative schwere geistige Behinderungen auch fälschlicherweise als Autismus deklariert werden.

Schauen wir uns nun mal die andere Seite an. Die Zahlen wie häufig Autismus vorkommt reichen von 1:1000 bis hinunter zu 1:100.  Ich nehme mal vorsichtige 1:300. Schätzt man nun das wir 7 Mrd. Menschen auf der Welt haben kommt man dabei auf gerundet 23 Mio Autisten die es geben müsste. Zur Erinnerung: Wir haben ungefähr 50 autistische Savants weltweit. Damit kommen auf 460.000 Autisten ein Savant (Angabe abgerundet!). Nun leuchtet vielleicht ein, warum man wenn man über Autismus redet nicht unbedingt auch über Menschen mit dem Savant-Syndrom reden sollte!

Autisten können nichts!?

Der entgegengesetzte Stereotyp zum autistischen Savant ist der Autist dem man nichts zutraut. Zum einen, und das kennen auch Menschen mit anderen Behinderungen, behandeln viele aus Unwissenheit und Angst einen behinderten Menschen wie ein Kleinkind. Da wird man im Extremfall mit  Babysprache oder gebrochenem Deutsch angesprochen, der Menschen gegenüber spricht laut und sehr langsam oder er nimmt einen ungefragt an die Hand um „über die Straße zu helfen“. Wenn man dann die Hilfe ablehnt wird es einem noch mit einem Satz „Undankbarer Mensch“ gedankt. Wie soll man aber auch für sinnlose Hilfe nach der man nicht gefragt hat dankbar sein? Daher: Wenn Sie einen Menschen mit Behinderung sehen oder wissen das er behindert ist und nicht wissen wie sie reagieren sollen: Fragen Sie! Ich kenne keinen Menschen mit Behinderung der sie ignorieren und stehen lassen wird. Gerade Autismus wird oft mit einer geistigen Behinderung gleichgesetzt. Dies ist aber falsch! Wir können uns in den meisten Fällen mitteilen, wenn wir das nicht können werden wir begleitet von jemandem der es kann! Was mich zu einer nächsten Falle bringt: Nicht jeder Autist der begleitet wird kann auch gleichzeitig nicht kommunizieren! Begleitung heißt Unterstützung und bedeutet nicht, dass wir keinen eigenen Willen haben und ihn auch ausdrücken können oder „entmündigt“ sind. Autisten können viel leisten, sie brauchen nur eine entsprechende Unterstützung! Nutzen Sie dieses Potential und trauen Sie uns etwas zu: Es wird sich lohnen!

Autisten leben in einer eigenen Welt!?

Wenn man sich mit dem Thema Autismus beschäftigt begegnet einem über kurz oder lang der Satz „ Autisten leben in ihrer eigenen Welt!“. Meist gefolgt von einem „Man muss sie aus dieser Welt herausholen!“. Zum letzten Satz ist meine Meinung schnell gesagt: Warum möchte man einem Menschen eine Welt aufzwingen von der man ausgeht,  dass sie gut für denjenigen ist ohne dies aber genau zu wissen? Was einem selbst gut tut muss anderen noch lange nicht gefallen.

Ich möchte mich aber vielmehr der Frage nähern ob Autisten wirklich in einer anderen Welt leben. Ich mache dies auf zwei Wegen:

Zum einen über das was Autisten selbst beschreiben und zum anderen möchte ich an die Frage, zumindest für mich, logisch rational heran gehen.

Fangen wir mir der Logik an: Kann man von einer anderen Welt bei Autisten reden? Dies würde mindestens zwei Punkte voraussetzen: Alle Nichtaustisten leben in nur einer Welt und jeder Autist lebt in einer eigenen Welt. Die Philosophie beschäftigt sich sehr eingehend mit der Frage ob das was wir sehen auch wirklich existiert und ob Dinge die wir nicht sehen auch existieren. Ich fasse das mal unter Wahrnehmung zusammen. Jeder Mensch nimmt die Welt in der wir leben auf seine eigene Weise wahr. Da Menschen individuell sind und die Wahrnehmung nicht unerheblich auch von bereits erlebtem und dem vorhandenen Wissen geprägt sind muss man wohl davon ausgehen, dass jeder Mensch die Umwelt anders wahrnimmt. Dies wiederum bedeutet: JEDER lebt in seiner eigenen Welt! Voraussetzung Zwei war: Jeder Autist lebt in seiner eigenen Welt. Ich möchte hier einen Autisten frei zitieren: „Wenn ich in einer eigenen Welt leben würde: Hätte ich dann die Probleme die ich jetzt und in dieser Welt habe?“ Ich denke das trifft es ganz gut. Wir nehmen die Welt anders wahr, das stimmt. Aber wer tut das in begrenztem Umfang nicht? Und ich kann für mich persönlich sagen: Ich lebe definitiv in der Welt in der auch nicht autistische Menschen leben! Viele erliegen unter Umständen dem Trugschluss, dass wenn sie keinen Zugang zum Autisten (und damit zu seiner vermeintlich eigenen Welt) haben dieser auch keinen Zugang zu der nichtautistischen Welt hat. Ich muss Sie enttäuschen!

Nun mögen Kritiker sagen: Ja aber….es gibt Autisten die von einer eigenen Welt sprechen und sie beschreiben. Ein gutes Beispiel dafür mag Axel Brauns sein. Er beschreibt in seinem Buch „Buntschatten und Fledermäuse“ so etwas wie eine eigene Welt und hat auch eine eigene Sprache erfunden. Man darf dabei aber nie vergessen: Es gibt nicht den Prototyp eines Autisten! Axel Brauns ist ein individuelles Beispiel, das bedeutet jedoch nicht, dass jeder Autist seine eigene Sprache hat und in einer eigenen Welt lebt oder lebte! Für mich, zum Beispiel, ist das von Axel Brauns beschriebene übrigens recht verschnörkelt und ziemlich surreal. Etwas das ich, als logischer Denker, kaum nachvollziehen kann.

Wie man sieht: Autisten haben mit einer Vielzahl sehr hartnäckiger Vorurteile und Stereotypen zu kämpfen. Einige versuchen durch Aufklärung das Bild klarzustellen. Manchmal klappt dies, oftmals nicht.  Autismus ist eben doch: Wenn man trotzdem lacht!

Aufruf an meine Leser

Mit diesem Beitrag ist ein Aufruf an meine nichtautistischen Leser verbunden:  Haben Sie eine Frage zum Autismus? Gibt es etwas was Sie brennend interessiert? Haben Sie etwas über Autismus gelesen oder gehört und Sie möchten wissen ob es richtig ist? Stellen Sie die Fragen! Entweder über die Kommentare hier oder via Twitter. Ich werde die Fragen sammeln und in einem Beitrag in den kommenden Wochen beantworten! Es wäre schön, damit ich die Frage auch inhaltlich passend beantworten kann, wenn Sie kurz dazu angeben ob Sie Interessierter, Angehöriger oder Fachkraft sind. Oder um ein englisches Motto meiner Zunft zu benutzen:

Ask your „autistic“ Librarian!

Kontakt über Twitter: @Querdenkender