Autismus ist:
eine Herausforderung
ein Fluch
eine andere Art der Wahrnehmung
eine Bereicherung
Dinge sehen die andere übersehen
das Leben mit einer eigenen Sprache zu beginnen
ein Erlebnis
sich verstecken zu müssen
aus sich heraus zu gehen
Overload und Meltdown
ein Blick für das Unscheinbare
klare Sprache
gemobbt werden
ein Schimpfwort im Munde anderer
witzig
Untrennbar mit mir Verbunden
manchmal ein Leben wie in einem Film
mit Stereotypen belastet
weder Leicht noch Schwer
die Kunst zu Überleben
eine Lupe der Wahrnehmung
logisch und trotzdem für viele unverständlich
ein Leben mit Behinderung
ein Kampf mit Behörden
das Salz in der Suppe des Lebens
die Chance aufzuklären
das Leben kostenlos in High Definition
Toleranz und Verständnis
nicht verstanden zu werden
Angst und Hoffnung
eine Stärke und Schwäche zugleich
untrennbar
eine Persönlichkeit
eine weitere Dimension im Universum
die Liebe zu komplizierten Sätzen
sich gegenseitig zu zerfleischen
die Vorliebe für Symmetrien
das Bedürfnis die Welt um sich herum zu begreifen
sich zu fragen ob man nun verarscht wird oder nicht
am Leben zu verzweifeln
Dinge zu hinterfragen
zu lieben und geliebt zu werden
nicht einfach zu erklären
wie ein Weizenkorn zwischen zwei Mühlsteinen
für dumm gehalten zu werden
stigmatisiert zu sein
überhört zu werden
unsichtbar für andere zu sein
für seine Rechte kämpfen
ein Tanz auf einem Drahtseil
ein Fenster zur Welt
ein Reizgewitter im Kopf
Atemberaubend und Ohrenbetäubend
der Wunsch nach Beständigkeit
Routine
manchmal Panik in den Augen anderer
der Maskenball des Lebens
für RainMan gehalten zu werden
Small Talk zu hassen und auf Floskeln zu verzichten
Außenseiter zu sein
ständig mit sich selbst zu kämpfen
anderen die Hand zu reichen
ein Leben lang kraftraubende Kompensation
sich nur auf sich selbst zu verlassen
alles zu hinterfragen
das Runzeln auf der Stirn von Ärzten
eine Träne in den Augen von Menschen die man liebt
eine Antwort auf viele Fragen
der Grund für noch mehr Fragen
Menschen aus dem Weg zu gehen
kleine Erfolge lieben zu lernen
ein großes Fragezeichen in den Köpfen anderer
manchmal das Gefühl von Einsamkeit
ein Leben voller verschiedener Facetten
so individuell wie ich es bin
das Leben immer und ständig zu planen
nicht entspannen zu können
ständig im Kopf auf Hochtouren zu laufen
Menschen faszinieren zu können
wenn es auf einer Tagung während eines Vortrages totenstill wird
nicht aus seiner Haut zu können
manchmal doch aus seiner Haut zu schlüpfen und Dinge zu vollbringen die man sich nicht zugetraut hat
eine ständige Selbstüberwindung
kreativ zu sein
seine Gabe zu finden und sie zu nutzen
Stärken haben und trotzdem schwach sein
Entscheidungen nicht treffen zu können
zu merken das man etwas bewegen kann
ein Leben der besonderen Art
manchmal schwer zu ertragen
wenn es beruhigend ist die Füße aneinander zu reiben
wenn man Schaukelt ohne es zu bemerken
wenn man Dinge albern findet die andere für witzig halten
wenn man die Welt um sich betrachtet und sich denkt: Sind die alle irre?
wertvoll für mein Leben
meine Lebensaufgabe und -sinn?
nicht mit 500 Worten zu beschreiben!
Autismus ist ein Teil von mir!
Anmerkung: Dieser Text entstand im Rahmen der Reihe „Mein Autismus in 500 Worten“ auf dem Realitaetsfilter. Die Reihe ist hier zu finden.
wunderbar.
(und tröstlich. ich fühle mich weniger alleine, lese ich diese beschreibung.)
… Leben?
viele Grüße und ein schönes Fest!
Gefällt mir sehr gut in dieser Form der Auflistung. Man verharrt länger bei jedem einzelnen Punkt und sucht nach vergleichbaren Erinnerungen.
Wünsche Dir ein Frohes Fest, guten Rutsch und viele aufgeschlossene Diskussionspartner auch in Zukunft.
Ähem. Wer schreibt Dir denn vor, Dich als Behinderter zu begreifen zu müssen, mit Behörden zu kämpfen und Dich zu verstecken? 😉
Gegenfrage: Wer sagt das ich so nicht empfinden darf? Das ist ein Text über meine Empfindungen und Gefühle rund um meinen Autismus.
Das mit dem Filmriß glaube ich nicht. Daß Du als Vortragender auf Tagungen gehst und danach lieber über das Vorgetragene glaubst schweigen zu müssen, erhöht gerade meine Fremdscham für Dich nur. 🙁
Dann glaube es mir nicht. Ich weiß was ich erlebt habe. Und glaube mir: So schlecht kann der Vortrag und dessen Inhalt nicht gewesen sein wenn das Paper als Abschlußvortrag akzeptiert und auch im Konferenzband veröffentlich worden ist.
Das mit dem Wissen, wovon redet, geb ich gern zurück.
Da das Kommentarfeld mir gerade mal wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht hat beim Verfassen eines längeren Textes am Smartphone, versuche ich es jetzt mal mit einer kürzeren Version: für einen seelisch wenig gefestigten und sehr nervösen Menschen, der sich über eigene Leistung definiert, den Alltag allein organisiert, mit wechselndem Erfolg beruflich tätig ist, ist Dein Lebensstil beängstigend und teilweise ein Schlag ins Gesicht. Och gestehe jedem seine persönliche Freiheit zu, aber Überheblichkeit kann ich nicht leiden.
Menschen werden ignorant, wenn man ihre Denk-Grenzen berührt. Wenn man die Seite erwischt hat, auf der man nicht so richtig dem „Bild“ entspricht, das kollektiv als „normal“ angesehen wird, wird die Ignoranz dieser Masse zur lebenslange Erfahrung, die überwiegt. Wir erfahren uns in den Augen der Anderen. Es ist also notwendig als Gefühl ausgesprochen zu werden, um sich überhaupt selbst losgelöst von den Vorurteilen der Anderen wahrnehmen zu können. Die an einem Begriff „klebenden“ Vorurteile wirken kollektiv und meist unbewusst. Die Mauer aus unsichtbaren und unbewussten Denk-Grenzen ist fühlbar, aber nur schwer in Worten zu greifen. Eine Geschichte zeigt diese „Schallmauer“.
Jeder war interessiert und neugierig, wenn ich erzählte, das ich mit Autisten Yoga übe. Wie kann das ohne Augenkontakt, ohne Körperkontakt überhaupt gehen? – Wie mit jedem anderen auch! Ich zeige die Übung. Helfe ihnen bei der Übung, bis sie die Bewegung beherrschen. Und wir haben Augenkontakt und ich muss sie sogar berühren, um sie fühlen zu lassen, wie die Bewegung geht. Sie bestimmen den Zeitpunkt und die Dauer. Nach der zweiten Stunde mit den Autisten habe ich aufgehört in den Erzählungen ins Detail zu gehen. Da das letzte Gespräch auf die Frage: „Was habt ihr diesmal gemacht?“ damit endete, das der Interessierte, als ich ihm darüber erzählte, plötzlich mit Tränen in den Augen sagte: „Erzähl mir nicht mehr davon. Es macht mir Angst. Es kann nicht sein.“ – Doch war es aber!!! Und jede Woche von Neuem machten sie mehr mit und begannen sich gegenseitig zu necken, mich mit einem Kuss zu verabschieden und miteinander auf ihre Weise zu kommunizieren. Ich hatte es gerade erlebt. Die vier autistischen Kids, ihre drei Lehrer und ich haben intuitiv gemacht, was jeweils möglich war und nicht in Büchern oder unserem Denken danach gesucht und gefragt, was möglich sein kann und ob das jetzt überhaupt sein darf. Wir haben einfach gemacht. Die Kids haben mir ihre Welt geöffnet, mich mitgenommen. Ich bin aber auch (ausserhalb unseres geschützten Raumes) der alles überdeckenden Denk-Glocke begegnet, die über unser allem Leben hängt und unser aller Leben begrenzt, wenn wir nicht mehr auf unser Fühlen hören.
Schön, daß diese Kids mehr Erfolg mit dem Yoga haben als ich mit dem Steptanz. Das Beispiel zeigt aber wieder ein Problem sehr deutlich: es ist ganz oft einfacher, klassische Autisten zu fördern als Aspies.
Es ist ein interessanter Gedanke in dieser Arbeit weiter zu differenzieren. Ich empfand es als grossen Vorteil, dass die Kids zu viert waren und sich gegenseitig und mich mit jeweils den anderen beobachten konnten. Tanzen hat für die Kids übrigens auch nicht funktioniert :). Ich habe die Erfahrung gemacht, das jeder (ob autistisch oder nicht, traumatisiert, schwer krank oder einfach nur interessiert) genau dort „abgeholt“ werden möchte und muss, wo er sich gerade körperlich und mental befindet. Das ist eine Voraussetzung um erfolgreich zu lehren. So individuell verschieden wie es unterschiedliche Menschen gibt, ist oft auch der Einstieg.
„Autismus ist: wenn es auf einer Tagung während eines Vortrags totenstill wird.“ was passiert in dieser Situation mit dir als Autist? bleib in dieser Zeile immer „hängen“
Das war bei einer Fachtagung bei der ich den Schlußvortrag halten durfte. Was genau passiert ist kann ich nicht sagen. Ich habe für die Zeit vom ersten bis zum letzten Satz meines Vortrages einen Filmriss. Kann mich nur noch an sehr wenige Einzelheiten errinnern. Mir wurde anschliessend nur von meheren Seiten bestätigt, dass mein Vortrag so fesselnd und gut war das es ansonsten totenstill im Raum war. Ich lebe das Thema eben 🙂
Das freut mich für dich. Ist es nicht das, was die meisten finden möchten: das eins sein in dem was wir tun? Im Yoga ist dies der Zustand der das Ziel ist, in dem du während des Vortrages warst.
Deine Worte erinnern mich an viel selber Erlebtes.
An dem Punkt mit dem Vortrag blieb ich ebenso hängen.
Unerlebt und doch so sehr passend.
Wenn ich etwas mit autistischer Wahrnehmung , die fliessen kann, verbinde,
dann ein klares auf dem Punkt sein.
stopp und ruhe
Hallo, einen schönen Blog hast du da erstellt! Gefällt mir sehr und ich werde sicher regelmäßig rein sehen! 🙂 Ich bin selber Betroffene und habe mich heute auch mal getraut einen Blog zu erstellen. Vielleicht guckst du ja auch mal vorbei 😉 : http://borderlineautist.blogspot.de/ LG Janina
🤭 wow! Dieser Beitrag hat mich sehr tief bewegt!
Vielen Dank für diese Komposition!
LG Nina