Autisten reden oft davon, dass sie Masken tragen. Was meinen Sie damit? Tragen Sie Masken wie Schauspieler und spielen sie der Gesellschaft etwas vor? Oder ist die Maske doch eher ein Versteck? Auf jeden Fall ist das Verhalten von Autisten in der Öffentlichkeit für viele Menschen ein Rätsel und Mysterium. Ein Mysterium das viele sicher auch verstehen möchten und sich deshalb wünschten dass die Masken der Autisten, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, fallen würden.

Masken tragen

Um das alles besser verstehen zu können muss man sich die Frage stellen: Warum tragen Autisten überhaupt eine Maske? Und was steckt hinter dem Bildnis der Maske?

Autisten reden, in der Regel, vom maskentragen, wenn sie sich unter andere Menschen begeben.  Das Ganze sollte man allerdings nur sprichwörtlich sehen, es ist nämlich weniger eine Maske die man trägt sondern eine Rolle die man einnimmt. Eine Rolle die man entweder sich selbst hart erarbeitet hat oder die über eine Therapie geübt wurde. In jedem Fall ist es ein Zustand des sich selbst Verbiegens. Würde man, so wie man eigentlich ist, unter andere Menschen gehen würde man wohl zum einen an vielen Ecken anecken und zum anderen sehr schnell wieder in eine schützende Ruhezone flüchten. Streng genommen spielt man in so einem Moment keine Rolle so wie es ein Schauspieler tun würde, man biegt sich aber so zu Recht, dass man in der Öffentlichkeit möglichst wenig auffällt. Man könnte auch sagen: Autisten fangen an das normale Leben zu imitieren und zu kopieren. Wir spiegeln damit eigentlich genau das Verhalten das wir oftmals nicht verstehen. Kurzum: Wir versuchen so zu sein wie man es von uns erwartet.  Zum einen ist das sicher ein Mechanismus den jeder Mensch, egal ob er Autist ist oder nicht,  anwendet und erlernen muss. Es fällt nur Nichtautisten wesentlich leichter. Vielleicht auch weil das erwartete Verhalten ihnen nicht fremd und unlogisch erscheint und sie quasi ganz normal darin aufwachsen und erwachsen werden. Zum anderen ist das Masken tragen aber auch ein extremer Selbstschutz. Wenn Autisten diese Masken nicht tragen würden, sähen sie sich wohl sehr schnell mit Kommentaren wie „Stell Dich nicht so an!“ und „Was ist eigentlich mit Dir los?“ konfrontiert. Und das ist etwas was ein Autist der sich nach besten Wissen und Gewissen versucht anzupassen nun als letztes gebrauchen kann. Was man nach außen hin nämlich nicht erkennt: Das Tragen der Maske und die Anpassung an die oftmals auch nicht klaren Erwartungen anderer Menschen an einen kostet sehr viel Energie. Was Nichtautisten unter Umständen schon schwer fallen könnte ist für einen Autisten harte Arbeit. Eine Belastung die man wiederum, so möchte es die Gesellschaft ja, nicht nach außen hin zeigen darf. Man würde ja Schwäche zeigen. Und überhaupt: Wie kann denn ein, für andere alltägliches, Geschehen auch anstrengend sein?

Masken lügen nicht

Ist dann alles was Autisten nach außen hin verkörpern und machen eine einzige große Lüge? Definitiv nicht. Die Rolle die wir spielen sind wir selbst. Nur verbunden mit einer, unter großer Anstrengung aufrechterhaltener, verbogenen oder verzerrten Position. Man könnte auch sagen: Wir versuchen die Gesellschaft und ihre Erwartungen zu spiegeln. Und zwar so, dass das eigene Bild soweit verzerrt wird das es in das Bild der Gesellschaft passt. Klingt erst einmal gruselig, oder? Ich merke gerade selbst, dass es nicht leicht zu vermitteln ist was das Maskentragen wirklich bedeutet und wie viel von mir selbst da noch drin steckt bzw. wie groß der Anteil an Verzerrung in diesem Bild ist. Ich denke man kann dies aber auch nicht pauschal sagen. Wenn es mir gut geht, fällt es mir verhältnismäßig leicht mich in dem Alltag und der Gesellschaft zu bewegen. Der Kraftaufwand den ich benötige um mich in die Norm zu verbiegen ist noch gering. Es gibt aber auch Situationen, und hier darf ein Außenstehender nicht seine eigenen Maßstäbe ansetzen, in denen dieser Kraftaufwand gewaltig ist. Das können Extremsituationen wie ein Vortrag oder Seminar sein, es kann sich aber auch um so etwas vermeintlich Einfaches wie einen Arztbesuch oder der notwendige Besuch beim Friseur handeln. Was in meinen Augen auf jeden Fall wichtig für Außenstehende ist um die Situation eines Autisten zu verstehen: Es ist immer ein verbiegen der eigenen Bedürfnisse und Ansprüche. Und je mehr dieses verbiegen von außen erzwungen wird umso mehr Energie kostet es den Autisten. Das kann so weit gehen, und ich denke das ist nicht mal ein seltenes Ereignis, dass ein Autist sich nach außen hin verbiegt weil er weiß dass er es muss und gleichzeitig innerlich daran zerbricht. Am besten kann man das wohl mit einem Metalldraht vergleichen: Er lässt sich biegen. Das geht auch eine ganze Weile gut. Wenn man jedoch zu viel und möglichst noch an derselben Stelle an ihm herumbiegt wird er irgendwann brechen. Und das sind Momente die nicht nötig sein müssten wenn man so manches Mal einen Autisten einfach so akzeptiert wie er ist. Es sind auch Momente an denen Autisten sich entweder zurückziehen oder sich selbst gar aufgeben. Und dann wird aus einem verbogenen Spiegelbild das die bildliche Maske trägt ein Geist.

Der Mythos Lüge

Ich möchte diesen Text über das Tragen von Masken bzw. verbiegen zu eine Rolle mit einem anderen Thema verknüpfen. Wobei ich ausdrücklich noch einmal betonen muss: Das Tragen einer Maske ist keine Lüge, es ist ein angepasstes Zerrbild der eigenen Person das man in der Gesellschaft spielt. Nur allzu oft habe ich schon gelesen oder gehört: Autisten können nicht Lügen. Ist das wirklich so? Vorab gesagt: Wenn es so wäre, dürfte ich keine Autismusdiagnose haben. Ich kann nämlich Lügen. Was mich vielmehr beschäftigt hat war die Frage: Wieso sehen Außenstehende das so und wie kommt es zu diesem Eindruck?

Ein Ansatzpunkt für mich ist die Problematik des Small Talks. Autisten sind darin nun wahrlich schlecht weil sie inhaltlich wenig Sinn darin sehen. Und auch weil sie keinen Sinn dafür finden Fragen zu stellen deren Antwort einen eigentlich gar nicht interessiert. Für mich fällt unter Small Talk auch der Bereich Schmeichelei. Mal Hand aufs Herz: Wenn sie jemandem sagen wie gut er doch wieder aussieht oder wie gut ihm oder ihr ein gewisses Kleidungsstück steht: Meinen sie das wirklich ernst? Und warum sagen sie es? Der Mensch schmeichelt um einen gewissen Effekt zu erreichen. Und hierfür, mir kann keiner erzählen dass es anders ist, sind alle Mittel recht. Eben auch das Mittel der klitzekleinen und schon unbemerkt eingesetzten Lüge. Achten Sie mal darauf, wie oft sie ganz unbewusst und nebenbei nicht immer genau das sagen was sie denken. Und achten Sie auch einmal darauf warum sie das tun. Ein Experiment das, wenn man es konsequent ausführt und ehrlich zu sich selber ist, einem sicher das eine oder andere Mal auch die Augen öffnen kann. Autisten nun neigen dazu zum einen sehr direkt zu sein oder zumindest als direkt empfunden zu werden. Warum ist das so? Nun: Fragen Sie einen Autisten wie ihm ihr neues Kleid gefällt. Er wird ihnen sehr wahrscheinlich ziemlich genau seine Meinung dazu sagen. Und eben nicht das was sie evtl. hören möchten. Eben diese, oft als Unfreundlichkeit empfundene, Direktheit trägt sicher dazu bei, dass Autisten unterstellt wird sie könnten nicht lügen. Immerhin ist es ja eine Kleinigkeit dem anderen zu schmeicheln und genau das zu sagen was er hören möchte, oder? Ich denke genau diese kleinen und unbemerkten Hilfslügen sind es in denen ein Autist keinen Sinn sieht. Also warum sollte er dann die Wahrheit verschweigen?

Darauf aufbauend habe ich noch einen zweiten Ansatzpunkt. Geht man nämlich nach dem Ziel das man mit einer Lüge erreichen will sieht es wahrscheinlich zwischen Autisten und Nichtautisten nicht so unterschiedlich aus. Hat ein Autist einen Grund zu lügen und ist er fest davon überzeugt, dass diese Lüge notwendig ist und für ihn einen Sinn macht, so wird er in meinen Augen auch diese Lüge vollziehen. Der Grund nicht zu lügen liegt, und da spreche ich wieder aus meiner persönlichen Sicht, schlichtweg darin, dass man keinen Sinn darin sieht. Wo Nichtautisten noch einen Sinn sehen und einen gewissen Zweck verfolgen ist für einen Autisten eine Lüge unnötig und vor allem auch unsinnig. Insoweit unterscheiden sich Autisten von allen anderen Menschen nur darin, dass sie in der Beurteilung und Abschätzung ob eine Lüge notwendig ist anders entscheiden wie andere Menschen. Das Lügen an sich jedoch ist ihnen genauso wenig fremd wie allen anderen auch. Ich könnte auch schreiben: Lügen ist menschlich!