Ein Plädoyer für den bewussten Umgang mit Sprache im deutschen Journalismus

Liebe Journalisten,

angelehnt an Martin Luther kann ich nur noch schreiben „hier sitze ich, ich kann nicht anders!“ und dabei mit dem Kopf schütteln!

Wieder einmal geht ein Brief an Euch, und wieder ist es Euer Umgang mit der deutschen Sprache der mich fassungslos macht. Sie ist Euer Werkzeug, Euer  Ein und Alles eben das was Euch und Eure Arbeit ausmacht! Und wie geht Ihr teilweise damit um? Es werden Worte auf das Papier oder ins Internet getippt, der Glanz und das Besondere in den Worten geht verloren. Warum nur wundert Ihr Euch dann wenn Ihr stückweise gegen Maschinen und ungelernte Schreiber ausgetauscht werdet?

Ihr fragt Euch sicherlich warum ich mich nun wieder an Euch wende. Hier ist der Grund: Eure Kollegen von Spiegel Online haben im Ressort Kultur folgenden Artikel veröffentlicht:

Fotoserie über versehrte Soldaten: Die stolzen Krüppel des Bryan Adams

Schon der Titel zeugt von einem unbewussten und wahllosen Griff in die Quotenkiste. Im Krieg versehrte Menschen werden als Krüppel bezeichnet. Ist bei Euch noch nicht angekommen dass Krüppel eine wirklich üble Beleidigung darstellt? Und nun kommt mir bitte nicht mit dem Argument das Krüppel im Duden als deutsches Wort aufgeführt ist!

Die Spiegel Online Redaktion geht aber noch einen Schritt weiter: Es sind stolze Krüppel! Habt Ihr mal darüber nachgedacht was diese Worte implizieren? Das Menschen stolz auf ihre Versehrtheit und Verstümmelungen sind? Ich glaube nicht dass dies wirklich der Fall ist. Es sind sicher stolze Menschen und es sind behinderte Menschen, aber sie sind wohl in den wenigsten Fällen stolz auf ihre Behinderung!

Ein Stückchen weiter unten im Artikel konnte ich dann folgende Stelle finden:

Große Schwarzweiß-Fotos zeigen junge Männer, die während ihrer Einsätze in Afghanistan oder Irak für immer gezeichnet wurden: Sie stellen ihre Verstümmelungen, Narben und Prothesen zur Schau.

„Zur Schau stellen“ impliziert im Normalfall das jemand etwas mit Stolz vorzeigt oder präsentiert. Er macht eine Show aus dem was er zu zeigen hat. Ist das hier wirklich der Fall und der Sinn der angesprochenen Ausstellung? Ich denke nicht! Es passt aber prima zum Titel oder um es mal zusammen zu bauen:

„Stolze Krüppel stellen ihre Verstümmelungen, Narben und Prothesen zur Schau“

Öffnet Euch das langsam die Augen was hier massiv falsch läuft? So toll die hier beschriebene Ausstellung auch ist, mit einer einzigen Schlagzeile macht Ihr den ganzen Sinn und Zweck zunichte! Ihr kehrt mit dem unbewussten Umgang mit der Sprache das was Ihr eigentlich positiv betonen und beschreiben wollt in etwas Negatives um.

Bryan Adams lässt den Soldaten ihre Würde, Ihr nehmt sie ihnen mit den Worten die Ihr für diese Ausstellung gefunden habt!  

Wo ist euer Stolz geblieben? Eure Berufsehre? Und auch eure Verantwortung der Gesellschaft gegenüber? Ich finde hier nur etwas für das es wohl, geht man nach dem Duden und dem Fremdwörterbuch, kein deutsches Wort gibt: Ableism!

Ableism tut weh! Ableism schmerzt all diejenigen die sich für ein realistisches Bild von Behinderung und behinderten Menschen einsetzen! Und das Schlimmste ist: Ableism nimmt Menschen ihre Würde!

Wollt Ihr das wirklich?

Sprache ist eine mächtige Waffe und jede einzelne Feder ist schärfer als es ein Schwert je sein könnte!

Ich bin enttäuscht!

Aleksander

Persönlicher Zusatz: Eben weil das Medien- und das Gesellschaftsbild von Behinderungen manchmal sehr zu wünschen übrig lässt haben wir eine Aktion ins Leben gerufen: Die Blogger-Themen-Tage. Behinderungen, Medien und Gesellschaft unter dem Motto „Einfach sein!“ vereint! Greift zu den Federn und schreibt was Euch bedrückt, ärgert aber auch was Euch freut! Beschreibt Eure Behinderung und tragt dazu bei ein realistisches Bild zu erzeugen! Erhebt eure Stimme damit die Medien endlich merken dass wir keine Krüppel sind!

Update 04.02.2013:

Das man es besser machen kann zeigen die Beispiele von anderen Medien die sich mit dieser dpa Meldung befasst haben:

Bryan Adams zeigt Fotos verstümmelter Soldaten

Eine Artikelüberschrift die punktgenau das wiedergibt um das es u.a. geht: Die Grausamkeiten des Krieges!

So wie Adams Mick Jagger oder Sting ablichtet, so setzt er auch den Soldaten Craig Woods mit seinen zwei Beinprothesen und einer Handprothese in Szene.

Und so macht dann auch das „in Szene setzen“ einen Sinn. Adams lichtet die Soldaten eben genauso ab wie auch Prominente Mensche. Ohne zu schönen und ohne etwas zu verbergen. Aber er führt sie damit nicht vor!

Man hätte so viel richtig machen können wenn nicht versucht worden wäre eine dpa Agenturmeldung „kreativ aufzupeppen“!

Update (2) 05.02.2013

Im Blog Autzeit ist ein sehr guter Beitrag „Für die vergessenen Journalisten“ über die guten und gewissenhaften Journalisten erschienen. Ich kann mich dem nur anschliessen und bedauere wenn mein Beitrag den Schein erweckt hat, dass ich alle Journalisten verteufeln würde. Ich wünsche mir einfach nur, dass negativ besetzte Worte wie „Krüppel“ einfach nicht mehr für Quoten herhalten müssen.