Zur Schulzeit gehören auch Ausflüge. Mal kleinere, mal größere. Die einen freuen sich auf Klassenfahrten, für die anderen zu denen ich auch gehöre ist eine solche Reise purer Stress. Ich zumindest war immer froh, wenn ich wieder zu Hause war. Aber ich fange am besten von vorne an.

Bevor es losgeht

Der erste Stress kommt für wohl viele Autisten schon dann auf, wenn es darum geht das Reiseziel in der Klasse zu besprechen und festzulegen. Was in niedrigeren Klassenstufen evtl. noch recht egal ist „Motto: Hauptsache raus!“ wird irgendwann zu einem Problem. Die einen möchten zur damals bei uns obligatorischen Klassenfahrt nach Berlin, die nächsten lieber nach Amsterdam weil es da besonderen Tabak gibt und überhaupt kann ich wohl froh sein das damals Mallorca, Ballermann und Ibiza noch nicht auf dem Radar der Klassenkameraden waren. Hatte man sich dann mühsam auf ein Reiseziel geeinigt waren alle froh und ich deprimiert. Ich musste mal wieder, und das obwohl mich z.B. Berlin sehr gereizt hat, auf Reisen gehen. Von wollen oder gar drauf freuen war eher nicht die Rede. Kurzum: ich war hin- und hergerissen. Zwischen dem Interesse an einer neuen Stadt in der man, die Mauer war gerade gefallen, sicher viel entdecken konnte und dem ganzen Stress der da auf mich zukommt weil die ganze Klasse bzw. der ganze Jahrgang mitreist. Auch wenn man sich als Schüler weniger um die Reiseabläufe und die Organisation kümmern muss, so ein Autist auf Reisen hat viel zu bedenken. Was nehme ich mit? Was brauche ich unbedingt? Was mache ich wenn es das eine oder andere Problem gibt? Und eine Frage die mich immer quälte: Mit wem komme ich auf ein Zimmer? Klassenfahrten waren immer derart unkalkulierbar das sie alleine deswegen für mich ein Graus waren.

Auf Reisen

Mit der Bus- bzw. Bahnfahrt zum Zielort fängt es dann schon an. Neben wem darf/muss ich sitzen? Wenn man in einer Klassengemeinschaft nicht sonderlich gelitten ist wächst sich das für einen Autisten schon zum Problem aus. Ich hatte dann auch immer noch das wahnsinnige Glück das die Person mit der ich zusammen sitzen wollte sich spontan, wie auch sonst, für jemand anderen entschieden hat. Weniger weil sie mich nicht mochte, das war bei den von mir auserwählten am wenigsten der Fall, nein: Andere machten sich einfach keine Gedanken darum neben wem sie sitzen und konnten auch nicht verstehen das es für mich so wichtig war. Im besten Fall hat es also geklappt, zur Not saß ich wenigstens irgendwo in der Nähe von Menschen die ich mochte, im schlimmsten Fall war schon mit der Anfahrt die Klassenfahrt für mich gelaufen. Die lustigsten Ausflüge waren damals übrigens immer die mit einem speziellen Busfahrer. Seine Begrüßungsworte waren: Nichts Essen! Nichts trinken! Mit dem Hintern auf dem Sitzplatz bleiben! Die Alternative war ein entspannter Busfahrer, Getränke die flogen, Essen das bröselte und ein Stakkato von Fußtritten in meine Rückenlehne. Kaugummi in den Haaren oder an anderen Körperstellen waren zum Glück noch seltener als die berühmten und berüchtigten Spontanpausen. Die kamen immer dann zum Einsatz, wenn ein Mitschüler sich entweder überfressen hatte oder schlichtweg Reisekrank wurde. Das Schöne an einem anders funktionierenden Mitgefühl ist übrigens, dass man sich dann nicht in die Reihe derer einreihen musste, die sich sehr schnell und spontan zum ersten der „Brecher“ gesellten. So manches Mal befürchtete ich dann doch, dass die Hotelverpflegung verdorben gewesen sein könnte. Zumindest auf den Rückfahrten.

 

Vor Ort

Vor Ort dann angekommen war die Freude der anderen groß. Immerhin bezog man gleich die Zimmer und konnte sich erstmals seit Fahrtantritt richtig austoben. Ich hingegen war froh meinen Koffer irgendwann gefunden zu haben und voller Sorge was nun folgte: Die Zimmerverteilung! Gleiches Spiel wie bei den Sitzplätzen, nur noch verschärft. Denn nun war es extrem wichtig für alle mit wem sie auf ein Zimmer kamen. Es ging ja schließlich gar nicht, dass Cliquen getrennt wurden. Und wenn doch: gab es eben Party auf dem Gang! In der Beliebtheitsskala ziemlich weit unten war klar: Ich musste nehmen wer übrig blieb. Außer, und das war dann einer der seltenen Glückstage, die Mitschüler mit denen man sich vorher abgesprochen hatte hielten sich auch an die Absprache. Dann war es immer noch ziemlich belastend mit anderen in einem Zimmer zu schlafen, aber wenigstens konnte man diese Belastung minimieren. Was mich übrigens immer geärgert hat: Jungen und Mädchen wurden getrennt. Nun mögen mich vielleicht einige für einen Casanova halten, dem ist aber nicht so. Ich verstand mich schon damals mit den Mädchen viel besser als mit den Jungs in der Klasse. Zumindest mit einigen. Für andere war ich, wie sollte es auch anders sein, eher ein No-Go mit dem man sich besser nicht sehen lassen sollte. Kurzum: Ich hätte mich sicher über einige Mitschülerinnen auf dem Zimmer gefreut, aber wegen der versauten Gedanken und Überlegungen anderer war das nicht möglich. Mir war es damals übrigens extremst fremd irgendwelche unsauberen Nebengedanken zu haben. Mir ging es um die Menschen und darum ob ich mich mit ihnen verstehe oder nicht.

Wie dem auch sei: Hatte ich mich mit den Zimmernachbarn abgefunden und mich auf den Stresspegel der kommenden Tage eingestellt musste das Leben ja weitergehen. Die angebotenen Ausflüge, natürlich alle pädagogisch wertvoll, musste man sowieso machen, das man nicht wusste was es zu Essen gab war auch normal und so überlebte ich die zahlreichen Ausflüge und Klassenfahrten mehr schlecht als recht. Die große Gemeinsamkeit und Konstante bei Klassenfahrten war eben die Tatsache: Es gab keine Konstante in dieser Zeit. Für Autisten, gerade wenn sie besonders auf Routinen und Sicherheit angewiesen sind, ein Graus. Für mich damals, so ganz ohne Diagnose, eine ständige Überwindung nicht noch mehr aus dem Rahmen zu fallen wie sonst schon. Ich muss aber auch zugeben: nicht alles war schlecht. Ich habe versucht an eindrücken mitzunehmen was ich mitnehmen konnte und die letzte Klassenfahrt meines Lebens, sie ging nach Prag, hatte sogar spaßige Momente an die ich mich gerne erinner. Ich frage mich, übers ganze Gesicht schmunzelnd, heute noch was die anderen Menschen im Restaurant indem wir immer essen mussten dachten wenn ich, mit zwei Klassenkameradinnen, lautstark „Manna Manna“ zum Besten gegeben habe. Mir war es in dem Moment egal: Es machte Spaß!