Im Hilfeschrei sind fast täglich neue Informationen und Quellen/Belege zu ABA und vorallem dem Menschenbild und der Praxis hinzugekommen.
Je mehr ich kämpfe und auf das Unrecht aufmerksam mache umso mehr stellt sich mir eine Frage: Warum ist es so vielen Menschen egal?
Warum ignoriert uns die Aktion Mensch?
Warum müssen wir uns immer wieder dafür rechtfertigen, dass wir ABA bekämpfen?
Eine Bitte an meine Leser: Stellt diese einfache Frage an die Aktion Mensch. Fragt sie: „Warum?“. Bei Twitter, bei Facebook, wo immer Ihr auf die Aktion Mensch trefft. Es kostet Euch nur ein paar Sekunden. Verwendet den Hashtag #FragtWarum um auf diese Aktion aufmerksam zu machen. Ich denke wir alle haben ein Recht darauf zu erfahren warum die Aktion Mensch ABA Projekte fördert und die Bedenken der Autisten dabei schnell mal ignoriert.
Auf uns Autisten hört man nicht, unsere Fragen verhallen im Nichts. Wenn viele nach dem „Warum“ rund um die ABA Förderung fragen können wir vielleicht etwas bewegen.
Wir brauchen Euch! Bitte helft mit!
gepostet auf ihrer Facebook-Seite
Ich sehe das Thema als Laie, aber so wie ich es verstehe … weil es als das kleinere Übel gesehen wird? Wenn ich ein autistisches Kind hätte, hätte ich ziemliche Angst davor, was passiert, wenn die Familienangehörigen tot sind und mein dann erwachsenes Kind alleine und nicht in der Lage ist sein Leben auf die Reihe zu bekommen. Ein Leben in der geschlossenen Abteilung wäre Horrorszenario genug, um ABA in Erwägung zu ziehen. Insbesondere weil auch niemand weiß, wie geistig Behinderte in 30 Jahren von der Gesellschaft behandelt werden.
Hallo Daniel,
es wird, seitens einiger ABA Anbieter, tatsächlich Angst geschürt. Beispiel: „Sie wollen das Ihr Kind nicht das ganze Leben Windeln trägt und irgendwann mal mit Ihnen spricht? Dann machen sie ABA“ Und das ist noch die positiv formulierte Variante.
Die Angst die Du ansprichst ist realistisch und die haben viele Eltern. Mit ABA jedoch erhält man das Gegenteil eines selbstständigen Kindes. Es gibt viele Berichte aus der Praxis in denen Kinder die mit ABA therapiert worden sind ohne das elterliche „ok“ keine Entscheidungen treffen können. Sie sind abhängig von den Befehlen der Eltern. Das „Nein sagen“ bzw sich gegen etwas wehren wird den Kindern ja massiv abtrainiert eben weil sie nur das machen sollen was man ihnen in dem Moment abverlangt.
Autismus und Geistige Behinderung sind übrigens zwei voneinander getrennte Behinderungen. Autismus beinhaltet die geistige Behinderung nicht zwingend.
Grüße
Aleksander
Hallo Aleksander,
danke für die Korrektur, ich habe den Begriff der geistigen Behinderung zu umgangssprachlich verwendet und ignoriert, dass es sich um eine eigene Diagnose handelt.
Wie siehst du (Meta)Studien, welche die Effektivität von ABA in Bezug auf bestimmte Fähigkeiten belegen? Ich habe zum Beispiel diese Metastudie gefunden: http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1750946710000498
> The EIBI groups surpassed the control groups on composite adaptive behavior, communication, daily living skills and socialization subscales the experimental groups surpassed the control groups by 5.92, 10.44, 5.48, and 4.96 points, respectively.
Ein mögliches Problem der Studien wird in der Metastudie auch benannt:
>Since a meta-analysis is only based on published studies, publication bias is a threat to validity (Torgerson, 2006). Funnel plots and rank correlation tests of expressive language suggested some evidence for publication bias. More studies with positive than non-significant or negative results are published (Torgerson, 2006); however, another explanation might be that behavioral treatment is indeed effective.
Eine Studie zum publication bias im ABA-Feld habe ich via PubMed gefunden: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24990802
> Therefore, we conducted an initial test of bias by comparing effect sizes, measured by percentage of nonoverlapping data (PND), in published SSED studies (n=21) and unpublished dissertations (n=10) on 1 well-established intervention for children with autism, pivotal response treatment (PRT). Although published and unpublished studies had similar methodologies, the mean PND in published studies was 22% higher than in unpublished studies, 95% confidence interval (4%, 38%). Even when unpublished studies are included, PRT appeared to be effective (PNDM=62%). Nevertheless, the disparity between published and unpublished studies suggests a need for further assessment of publication bias in the ABA literature.
Das ganze Feld der Autismustherapie scheint ja ziemlich umkämpft zu sein und es ist schwer sich eine Meinung zu bilden. Für mich als jemand der mit wissenschaftlichen Methoden nicht ganz unvertraut, aber medizinisch ein Laie ist, sieht es auf Grund der Studienlage so aus, als würde ABA Resultate bringen, was die Herausbildung / das Training von Alltagsfähigkeiten angeht. Die Studienlage kann sich natürlich ändern, eine solche Beurteilung kann immer nur vorläufig sein.
Es stellt sich die Frage, ob der Zweck die Mittel rechtfertigt. Lehnst du ABA aus moralischen Gründen generell ab? Also auch, wenn die Effektivität der Methode (und die Überlegenheit über andere Methoden) zweifelsfrei bewiesen wäre? Ich persönlich bin diesbezüglich unsicher. Einerseits widerspricht die Methode meinem Ideal für den Umgang mit Menschen als Individuen, anderseits belohnt die Gesellschaft bestimmte „normale“ Verhaltensweisen und bietet denjenigen, die zu weit vom Durchschnitt entfernt sind, nur begrenzt Unterstützung, was in noch unwürdigeren Bedingungen für die Person resultieren könnte. Es ist klar, dass diese Bedingungen zu ändern sind, aber bis dahin sitzen Eltern autistischer Kinder zwischen den Stühlen.
Grüße
Daniel
Hallo Daniel,
toll das Du Dich eingelesen hast. Das machen nicht viele 🙂 Zur Wissenschaftlichkeit kann ich Dir einen Blogartikel des Kollegen Benjamin Falk empfehlen: http://blog.realitaetsfilter.com/2015/05/06/die-wissenschaft-von-aba/
Ich persönlich lehne ABA ab weil hier die Bedürfnisse von Autisten grob übergangen und Ziele fremdbestimmt werden. Mit dem Ziel das er möglichst problemlos ist. Die Effektivität ist eben nicht bewiesen und wird nur vorgeschoben. Man darf ABA nicht mit der Belohung der Gesellschaft gleichsetzen. Bei ABA wird gedrillt, das tut die Gesellschaft nicht. Und keiner zwingt Dich, teils mit Bestrafungen, zur Belohnung hinzuarbeiten. Bei ABA ist sie das Ziel, in der Gesellschaft eine optionale Möglichkeit bei der Du die Wahlfreiheit hast. Die hat ein autistisches Kind nicht. Hier wird von schnell ausgebildeten Co Therapeuten und den Eltern bestimmt was das Kind zu tun oder zu lassen hat. Das Kind wird so geformt wie die direkte Umwelt das will, ohne Rücksicht darauf wieso der Autist so ist wie er ist.
Es gibt duchaus viele Möglichkeiten Autisten zu unterstützen und ihnen zu helfen ohne sie von außen bestimmt zu brechen. Daher ist ABA weder notwendig noch angemessen.
Grüße
Aleksander
Hallo Aleksander,
je mehr ich mich einlese um so komplizierter wird es. Dass Kommerzialisierung die Integrität der wissenschaftlichen Arbeitsweise beeinträchtigt scheint wohl in besonderem Maße in der Psychologie zu gelten. Dass mit einzelnen Methoden persönliche Hoffnungen verbunden sind trägt wohl auch dazu bei. (Generell, nicht nur bezogen auf ABA.) Aus den Ingenieurwissenschaften bin ich das eher weniger gewohnt.
Den Punkt mit der Gesellschaft meinte ich eher in dem Sinn, dass Eltern, die sich für ABA entscheiden, sicherlich annehmen, dass sie ihrem Kind etwas Gutes tun, weil sich angepasstes Verhalten später auszahlt. Ich kann das auch nachvollziehen und eine ähnliche Abwägung zwischen Individualität und Anpassung findet sich in vielen Bereichen der Psychologie. ABA nimmt da sicherlich eine Sonderstellung ein, da es sich um eine Therapieform handelt, die sehr tief in die Persönlichkeit und Autonomie einer Person eingreift. Rein instinktiv habe ich im Moment das Gefühl, dass die Methode ABA irgendwann auf einer Liste mit der Lobotomie, der Linkshänder-Umerziehung und der Ex-Gay-Therapie landet, unabhängig davon ob sie nun effektiv ist oder nicht. In der Annahme und Hoffnung, dass Inklusion durch die Gesellschaft auch in Bezug auf Autismus einen höheren Stellenwert bekommt und das Leid des Betroffenen in den Vordergrund rückt, nicht das Leid der Umwelt am Betroffenen.
Es ist ein guter Punkt, dass ABA nicht alternativlos ist. Im Moment lese ich „Herausforderndes Verhalten vermeiden“ von Bo Hejlskov Elvén, der bei Verhaltensänderungen von Betreuern und Eltern ansetzt, um positives Verhalten zu ermöglichen, statt herausforderndes Verhalten gewaltsam zu unterdrücken. Der Ansatz ist nicht nur moralisch unproblematischer, sondern erkennt auch an, dass Verhalten, welches von Dritten als herausfordernd wahrgenommen wird, für die handelnde Person durchaus einen Zweck erfüllt.
Grüße
Daniel
Nun das Beispiel mit den Linkshändern haben wir gebracht und es wurde uns zurückgeworfen mit einem „Ihr missachtet die große Not und das Leid autistischer Kinder“.
ABA wurde, weil Du es als Beispiel genannt hast, in früheren Zeit zur Verhinderung von HOmosecualität oder der Umerziehung von homosexuellen Menschen verwendet.
Mir fehlen Langzeitstudien, also keine kurzfristigen Fortschritte in der Kindheit aus therapeutischer/Elternsicht, sondern wie die Klienten diese später bewerten.
Hat dies auf Sunnys Space rebloggt und kommentierte:
Eine gute frage, deren Antwort uns Aktion mensch vermutlich schuldig bleiben wird…
[…] schließe ich mich der Bitte von Quergedachtes an und möchte dazu auch gerne auf den Blog von Innerwelt […]
“Sie wollen das Ihr Kind nicht das ganze Leben Windeln trägt und irgendwann mal mit Ihnen spricht? Dann machen sie ABA”
Und hier suche ich immer noch nach Berichten von erwachsenen Autisten, die bestätigen, wie hilfreich ABA für sie war, dass sie es ohne diese Therapie nicht geschafft hätten, dass sie dankbar sind für diese Behandlung nach ABA, usw. Wo sind diejenigen, die ABA erlebt haben und voll des Lobes sind?
Natürlich macht man sich als Eltern Gedanken und auch Sorgen darüber, ob das Kind es jemals eigenständig im Leben schaffen wird. Aber es ist nun mal so, dass es Autisten gibt, die evtl. immer Unterstützung brauchen werden, in welcher Form auch immer, aber genau so diejenigen, die – oh Wunder, sogar ohne Therapie – durchaus in der Lage sind, ihr Leben zu meistern.
Individualität ist hier gefragt, die fehlt mir bei ABA komplett.
Und ich weiß selbst, wie kontraproduktiv es ist, alles vorgebetet zu bekommen, denn das Gefühl für sich selbst geht so komplett verloren, und die Selbstständigkeit ist dahin.
> Wo sind diejenigen, die ABA erlebt haben und voll des Lobes sind?
> “I got praise if I did something they wanted me to do, but they would snap or yell if I did something they didn’t want me to do,” said Ian. “From my perspective as a child, that was just part of life and I had to comply with it.”
> Ian describes his experience as positive overall because he feels it helped him connect better with other people. He currently works as a customer service representative and is writing a book of humorous quotations. He says he still has difficulty quickly shifting his attention from one task to the next, but says he has no other characteristics of autism. “If I had a child with autism, I would put them in the same therapy,” he said.
http://www.theguardian.com/society/2015/mar/20/autism-does-aba-therapy-open-societys-doors-to-children-or-impose-conformity (Recht lesenswerter Artikel.)
So ein Vorschlag kam hier ja letzt schon einmal, und ich denke, das könnte eventuell eine Chance sein: Wäre es vielleicht eine Idee, eine Petition auf Change.org an die Aktion Mensch zu starten? Ich habe auf dieser Plattform schon eine Menge Petitionen unterzeichnet und bin immer wieder überrascht, wie diese innerhalb nur weniger Stunden bereits von Tausenden Menschen unterstützt werden. Daher denke ich, wäre das eine Möglichkeit, auch die nichtautistische Bevölkerung auf das Unrecht von ABA aufmerksam zu machen. So eine Petition würde noch viel mehr Menschen erreichen als der offene Brief, und dann besteht vielleicht wirklich die Chance, dass genügend Druck auf die Aktion Mensch ausgeübt wird. Das nur mal so als Gedanke von mir.
Hallo Daniel,
der Artikel aus dem Guardian war mir bekannt, aber er ändert das Bild nicht grundsätzlich. Wenn erwachsene Autisten von sich sagen, ABA hätte ihnen geholfen, dann mögen sie das im Einzelfall so erleben haben, das ist ihr gutes Recht. Das macht ABA insgesamt aber nicht besser. Fakt ist, dass es mindestens ebenso viele Berichte von erwachsenen Autisten gibt, die glaubhaft versichen, dass sie unter ABA gelitten habe. Allein dieses hohe Risiko einer Traumatisierung (auch wenn sie nicht in jedem Einzelfall eintreten muss), sollte Grund genug sein, auf derartige Therapien zu verzichten und nach Alternativen zu suchen.
Dazu mal ein Vergleich, der vielleicht ein bisschen hinkt, aber ich bringe ihn trotzdem: Es gibt viele Erwachsene, die von sich behaupten, die Schläge ihrer Eltern hätten ihnen gut getan und nicht geschadet. Daraus würde kaum jemand die Schlussfolgerung ableiten, es wäre heute noch richtig, Kinder zu schlagen. Wenn erwachsene Autisten im Nachhinein ABA verteidigen, könnte da ein ähnliches Muster zugrunde liegen, nämlich eine zwiespältige Identifizierung mit ambivalenten Eltern, die man einserseits liebt und auf die man angewiesen war, unter denen man aber auch gelitten hat.
Die Antwort, warum er so denkt, gibt Ian eigentlich schon selbst, denn er kannte es nicht anders: „From my perspective as a child, that was just part of life and I had to comply with it.” Für ihn war ABA anscheinend die einzige Therpie (vielleicht auch die einzige Form von „Liebe“ und Zuwendung), die er kennen gelernt hat. Ein solches Kind hat später nur schwer die Möglichkeit, die erlebten Bedingungen in Frage zu stellen und als Unrecht einzuordnen.
Nicht zu vergessen, dass Schmerz in einigen fällen verdrängt wird, da viele nicht mit dem
Gedanken leben könnten umsonst gelitten zu haben und deshalb versuchen einige es sich selbst schönzureden, um das Gefühl der Sinnlosigkeit des eigenen Leids loszuwerden.
Ich wurde zwar nicht mit ABA therapiert, aber der Erziehungsstil, der mir angedacht wurde, sowohl vom Vater als auch von den damaligen Kindergärten und Vorschulen, hatte den selben Effekt: Ertrage, was wir von dir erwarten, begehre nicht auf, tu dies, lass jenes, usw.
Heute lerne ich langsam, was ich kann, was ich darf, und wie ich ohne Anleitung oder Reglementierung durchs Leben komme, traue mich langsam (!) zu äußern, was ich denke und fühle, und darf die Erfahrung machen, dass ich trotzdem lieb gehabt werde.
In Kindertagen und auch später als Jugendliche dachte ich nur eines:
Die Erwachsenen werden schon Recht haben. Deshalb stellte ich ihre Umgangsformen mir gegenüber nie infrage.
Hat dies auf Gedankenkarrussel rebloggt.