Zum Thema Autismus wird viel geforscht und nicht jeder Wissenschaftler ist sich mit den Fachkollegen einig. Das ist nicht schlimm und vielleicht auch gut so, so entstehen weitere Sichtweisen und Forschungswege.
So manches Mal muss ich mich als Autist allerdings fragen, ob der Wissenschaftler sich da nicht auf einem Irrweg befindet oder unbewusst ein ganz anderes Ziel als die Autismusforschung anstrebt.
Gestern veröffentlichte die Heinrich Böll Stiftung ein Interview mit der Wissenschaftlerin Frau Prof. Dr. Nicole Karafyllis.
Titel des Interviews: „Mensch und Maschine rücken über den Autisten näher aneinander“
Spontan fragte ich mich da: Sind Autisten nun das fehlende Bindeglied zwischen Mensch und Maschine? Kurzum: Ich wurde neugierig ging aber auch mit gemischten Gefühlen an den Artikel heran.
In dem einleitenden Absatz kann man folgendes lesen:
Aber nicht nur in der Mode, sondern auch in der Berufswelt finden Menschen mit leicht autistischen – oder nerdigen – Zügen zunehmend mehr Akzeptanz, besonders als hoch spezialisierte Fachkräfte. Das ist zumindest das Bild, welches in der Öffentlichkeit gerne verbreitet wird. Nicole Karafyllis sieht Gefahren, die durch solche Bilder entstehen können.
Soweit so gut. Es ist erst einmal nichts Schlechtes, wenn die gängigen Bilder von Autisten in der Öffentlichkeit hinterfragt werden.
Sie ist Professorin für Philosophie an der TU Braunschweig und forscht unter anderem zum Phänomen Autismus.
Autismus als Phänomen zu sehen, interessant?! Vielleicht. Es kommt auf die Betrachtungsweise an. Zu Philosophisch sollte man Autismus allerdings wohl nicht betrachten.
Am Anfang des Interviews geht es um die Theorie des „extrem männlichen Gehirns“ von Simon Baron-Cohen.
Frau Karafyllis spricht im weiteren Verlauf an, dass gerade populärwissenschaftliche Veröffentlichungen von Naturwissenschaftlern, Medizinern und die Populärkultur dazu beitragen, dass Autismus „normalisiert“ wird. Für sie ist es das Gegenteil der Pathologisierung. Beides zusammen scheint sie kontraproduktiv und verwirrend zu finden. Ich denke jedoch: Es muss beide Richtungen geben. Autismus ist, in meinen Augen, weder komplett defizitär und pathologisch, noch idealistisch und „normal“ im Sinne von „nichtautistisch“. Die Mischung macht es. Und bei der Mischung muss man eben aufpassen, dass man weder Stereotypen bedient noch neue zu den bestehenden dazu erfindet. Kurz gesagt: Autismus hat, wie alles auf der Welt, zwei Seiten.
Nun kommen wir aber zu einem Teil des Interviews den ich nicht wirklich verstehe. Gerade wenn man bedenkt, dass Frau Karafyllis gegen so manche Bilder der Öffentlichkeit über Autismus angehen möchte.
Sie sagt:
Dadurch wird ein bestimmtes Bild vom Autisten entwickelt, das sowohl pathologisch, als auch normal ist. Das gibt meiner Meinung nach ein falsches Bild von Autisten wieder, denn die absolute Mehrzahl von Autisten ist nicht inselbegabt,[…]
Soweit so richtig, wenn nicht folgende Aussage nachfolgen würde:
[…]das heißt es sind keine Asperger-Autisten. Asperger – Autismus ist ein sehr seltenes Syndrom.
Zusammengefasst: Die meisten Autisten sind nicht inselbegabt. (Richtig) => Nicht inselbegabte Autisten sind KEINE Asperger-Autisten (Falsch) => Asperger Autisten sind Inselbegabt (Falsch) => Deswegen ist Asperger Autismus sehr selten (Falsch).
Mir stellt sich offen die Frage: Sieht Frau Karafyllis das so? Oder gibt sie hier ein von Ihr wahrgenommenes Bild in der Öffentlichkeit wieder? So oder so: Es ist falsch und sehr gefährlich. Selbst wenn sie nur wiedergibt was sie meint erfahren zu haben, ist das doch, ohne es genauer zu analysieren und zu kommentieren, genau der falsche Weg den sie da geht. Spätestens hier entsteht nämlich der Eindruck bzw. eine logische Gedankenkette die ich oben aufgezeigt habe.
Mich als Philosophin interessiert der Gerechtigkeitsaspekt, der eigentlich dem Phänomen Autismus erst mal gerecht wird und sagt; hier ist eine Zuspitzung erreicht, die nicht der Realität entspricht.
Das stimmt wohl. Aber das ist etwas, dass viele Autisten schon sehr lange beschäftigt und wofür wir auch schon intensiv kämpfen.
Das zweite ist, dass ich mich frage: Welches Männerbild wird hier eigentlich generiert, im Vergleich zu einem Frauenbild?
Ich vermute mal, dass sie hier auf das extrem männliche Gehirn von Baron-Cohen zurück kommt und darauf eingehen möchte. Anders kann ich mir nun nicht erklären, wieso das Bild der Geschlechter nun mit Autismus in Zusammenhang gebracht werden soll.
Warum haben wir jetzt wieder so ein Backlash [Rückwärtsbewegung], dass Männer sich nicht nur antisozial verhalten, sondern anscheinend auch noch antisozial verhalten dürfen?
Und wieder ein Griff ins Fettnäpfchen. Es wird Autismus mit einem antisozialen verhalten verknüpft. Was hat denn die Autismusforschung und die These des extrem männlichen Gehirns mit dem Männer- und Frauenbild in der Gesellschaft zu tun? Und wer sagt bitte, dass sich Autisten antisozial verhalten dürfen? Autismus ist keine Entschuldigung, allerhöchstens eine Erklärung für nicht „sozial verlangtes“ Verhalten! Ich bin der Meinung Frau Karafyllis macht hier einen Fehler den sie selbst anzuprangern versucht: Sie vermischt zwei Themen/Sichtweisen miteinander die so nicht vermischbar sind.
In der Populärwissenschaft wird immer wieder gezeigt, wie sympathisch dieser Asperger-Autist ist. Er hat zwar immer wieder Probleme mit Frauen, aber das findet man dann auch wieder sympathisch.
Also ich finde, dass Autismus und besonders das Asperger Syndrom, nicht wirklich sympatisch in der Wissenschaft dargestellt werden. Wieso auch? Es wäre nicht wissenschaftlich weil einseitig.
Dass Autisten nun „Probleme mit Frauen“ haben ist in meinen Augen ein Fehlschluss der auf Kosten der Vermischung von Geschlechterfragen und Autismus entstanden ist. Männliche Autisten haben wohl weniger Probleme mit Frauen sondern mit anderen Menschen. Und das gilt auch für weibliche Autisten. Seltsamerweise spricht die Autorin nicht von Autistinnen die Probleme mit Männern haben. Ich vermisse da den Gerechtigkeitssinn der zugunsten der Geschlechterfrage hinten runter gefallen ist.
Man kann sagen, dass Asperger-Autisten – die ganz wenigen, die es gibt – eine ganz leichte Neigung haben sich IT-Jobs zu wählen. Aber daraus kann man nicht schließen, dass es eine Zunahme an Fachkräften mit Asperger-Syndrom gibt
Hier werden wieder zwei Dinge miteinander vermischt. Zum einen die Neigung zu IT-Jobs. Die mag es geben oder auch nicht. Ich z.B. habe sie nicht. Aber wieso wird dann, anscheinend im Umkehrschluss, gesagt, dass es keine Zunahme an Fachkräften mit dem Asperger Syndrom gibt? Letztendlich widerspricht sich Frau Karafyllis doch selbst:
Einerseits sieht sie, und das ist ja richtig, dass Autisten nicht zwingend IT affin sind. Auf der anderen Seite stellt sie aber in Frage, dass Autisten an anderer Stelle als Fachkraft eingesetzt werden können bzw. das Autisten auch in anderen Bereichen Fachkraft sein können und die Zahl der autistischen und ausgebildeten Fachkräfte zunimmt und auch in Zukunft weiter zunehmen wird!
Nachfolgend spricht sie von dem Merkmal der „repetitiven Arbeit“ und das diese heutzutage für alle Menschen normal sei. Hier reduziert sie wiederum den Autismus und auch die Autisten auf ein „auf Muster und einen gleichbleibenden Ablauf“ angewiesenen Menschen. Das ist nur ein Teilaspekt des Ganzen!
Weiterhin spricht sie von einem „Geschlechterkampf“. Etwas das ich, gerade wenn es um Autismus geht, nicht nachvollziehen kann und wo die Frage erlaubt sein muss: Um was geht es bei der Erforschung des Phänomens Autismus? Um das „extrem männliche Gehirn“ und dessen vermeintliche Geschlechterungerechtigkeit oder um Autismus und wie er wirklich ist?
Im weiteren Verlauf geht es um die Bewegungen bzw. das Bewegungsbild von Autisten.
Ja, ich habe gesagt, dass Autismusforschung und die Forschung an humanoiden Robotern in der Tat eng miteinander verknüpft ist, nämlich über die sogenannte Kognitionsforschung in der auch das Gehirn der Autisten als Modell für künstliche Intelligenz steht. Diese fließt wiederum in die humanoide Robotik ein.
Ich bin mir nicht wirklich sicher, ob Autisten nun und gerade wenn es um die Wahrnehmung geht, wirklich Modell für die künstliche Intelligenz stehen. Zumal in meinen Augen Wahrnehmung das eine ist, Intelligenz wiederum etwas anderes.
Was mich, auch wenn es nur eine Beobachtung sein sollte, wirklich erschreckt ist nachfolgende Aussage:
Das ist natürlich interessant für die Militärforschung, in der am maschinellen Soldaten gearbeitet wird, der möglichst emotionslos sein soll und Befehle akkurat ausführen soll und dem man wahrscheinlich eine bestimmte Rhythmik – des Voranmarschierens zum Beispiel – einprogrammieren kann.
Hier kommt, und ich betone nochmals es ist egal ob es sich dabei eine Wahrnehmung oder Meinung von Frau Karafyllis handelt, wieder die Stereotypenklatsche raus. Autisten sind Emotionslos. Schlimmer noch: Wir werden wieder in das Umfeld des Kriegs und der Soldaten gerückt. Frau Karafyllis schadet hier den Autisten und dem Autismus mehr als sie ihm Gutes tut!
Letztendlich möchte sie gegen Stereotypen und Vorurteile angehen und Autismus erforschen. Was sie jedoch macht ist, in meinen Augen, zum einen verschiedene Themen zu vermischen (Geschlechterrollen und Autismus) und zum anderen immer wieder von Populärwissenschaften zu reden ohne diese zu definieren. Ich empfinde die Forschungen von Baron-Cohen nicht als Populärwissenschaftlich und stelle mir im Gegenteil die Frage: Ist das was Frau Karafyllis hier bertreibt nicht in gewisser Weise populärwissenschaftlich? Immerhin springt sie auf einen Zug des Geschlechterkampfes auf der bei der Erforschung von Autismus recht wenig bis gar nichts zu suchen hat. Sie betrachtet, leider, die ganze Thematik auch sehr fokussiert über diese Schiene. Was fehlt ist die Weitsicht.
Schlimm ist jedoch dass sie mehrfach davon spricht, dass Asperger Autisten selten sind. Selten ist nun, je nach Maßstab, relativ interpretierbar. Was bleibt ist, wenn man den Hintergrund betrachtet das es in dem Interview um auch um das Thema Nerds ging, der sehr üble Beigeschmack, dass viele Asperger Autisten wohl doch eher in die Nerdrichtung geschoben werden sollen. Wie sonst kann man erklären, dass es nur sehr wenige „wirkliche“ Asperger Autisten gibt? Verstärkt wird dies auch durch folgenden Zusatz am Ende des Interviews:
Prof. Dr. Nicole Karafyllis wird im Rahmen der Veranstaltung „Doing Nerd“ am 28. April im Podiumsgespräch mit Shintaro Miyazaki über leichte Fälle des Asperger-Syndroms bzw. Nerd-Syndrom sprechen.
Es tut weh zu lesen, dass hier wieder von leichten Fällen gesprochen wird. Wenn diese dann noch in richtung Nerd geschoben werden ist das ein Bärendienst für die Autismusaufklärung!
Es heißt ja doch oft: In der Philosophie ist alles erlaubt. Das kann und soll auch so sein, nur so kommt man weiter. Aber es sollte nun doch nicht so weit gehen, dass Fakten und Diagnosen angezweifelt werden. Vor allem dann nicht, wenn Äpfel (Nerds) mit Birnen (Autisten) und Kirschen (dem Geschlechterbild) verglichen werden. Das kann nicht gut gehen und ergibt, bestenfalls, einen schlechten Obstsalat.
Ich bin übrigens, wenn man bei dem Bild bleibt, eine ApfBirnKirsch. Ich bin Autist, Nerd (weil ich Technik mag und sie mich fasziniert) und ja ich habe auch ein Geschlecht.
Mein Kommentar dort (Link siehe oben). Mal sehen, ob sie es freischalten. 😉
Ich bin auch gespannt, vorallem ob es eine Reaktion gibt und wenn ja welche. Habe ebenfalls kommentiert.
Schon das Foto dort (blasser Typ mit großer Brille und ausdruckslos aufgerissenen Augen) ist so was von stereotyp… :-/
Naja, es passt zum Nerdthema. Das wars dann aber auch schon.
Unsere beiden Kommentare wurden freigeschaltet 🙂
Aber sonst kam da noch nichts. Na ja, inhaltlich ist das so abwegig, dass sich Kommentare eigentlich erübrigen. Trotzdem: Wenn die Frau an Podiumsgesprächen teilnimmt und dort nicht auf sehr kompetente Diskussionspartner trifft, richtet sie Schaden an.
Frau Karafyllis macht nicht nur den Fehler, Apfel/Birnen/Kirschen zu vermischen, sie übernimmt auch die in meinen Augen fragwürdige Zuordnung „linke Gehirnhälfte = männlich“. Das würde heißen, es gäbe keine weiblichen Autisten, da Frauen ja „rechtshirnig“ denken müssten?! Außerdem gäbe es dann keine Frauen in Führungspositionen in unserer patriarchalen Gesellschaft. Ich denke, „Linkshirnigkeit“ ist eine relativ „junge“ Entwicklung – Patriarchat ist (leider) viel älter.
Philosophen nenne ich gerne auch „Wortgaukler“. Manchmal ganz interessant, aber letztlich hören ihnen die Menschen nicht wirklich und das Leben schon gar nicht zu. Also: Philosophen tun zwar wichtig, ihr Äußerungen sind es aber nicht.
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