Was ich gestern gehört und heute früh selbst gefunden habe ist nicht mehr schön. So unschön das man glauben könnte ich lebe hier in einem Land vor unserer Zeit. Und damit meine ich nicht einen süßen Animationsfilm für Kinder sondern eher  Zustände die mich an die graue Vorzeit erinnern.

Ich fange mal mit den Berichten aus der Praxis an:

Autisten sind gefährlich! Glaubt Ihr nicht? In einer Regelschule in Hessen scheint man das so zu sehen. Dort darf ein autistisches Kind in den Pausen nicht mit den anderen Kindern spielen. Ausnahme: Wenn der Schulbegleiter dabei ist. Die Begründung ist einfach: Das Kind ist gefährlich. Das wurde übrigens auch den anderen Kindern kommuniziert damit sie gar nicht erst auf die Idee kommen den kleinen Autisten zum Spielen zu animieren.

Wie muss das für ein Kind sein nicht mit den Klassenkameraden spielen zu dürfen? Und wenn es das dann darf ist der erwachsene Schulbegleiter quasi immer direkt dabei. Macht das Spaß?

Wie ist das für die anderen Kinder? Das ein Klassenkamerad als gefährlich betitelt wird. Das man im Unterricht neben ihm sitzen aber nicht mit ihm spielen darf?

Ich möchte gar nicht wissen was die Eltern der anderen Kinder darüber und über Autisten denken.

Schulbegleitung ist in Hessen sowieso ein besonderes Thema. Zumindest wenn man ein Kind mit einer sog. seelischen Behinderung hat.

Während Kinder mit anderen Behinderungen die Schulbegleitung über das Sozialamt organisiert bekommen ist in Fällen von seelischen Behinderungen wie Autismus in Hessen das Jugendamt zuständig. Und wenn man dort eine Schulbegleitung beantragt setzt man eine Maschinerie in Gang mit der man nicht rechnet.

Zum Schulbegleiter hinzu bekommt man nämlich, ganz ungefragt und als Pflichtprogramm, die Familienhilfe mit dazu. Wenn es sich um ein einmaliges Angebot handeln würde wäre das vielleicht ja noch ok. Aber was da ins Laufen kommt ist nicht mehr schön. Da kommen z.B. Hilfeplangespräche in Gang. Oder um eine Mutter zu zitieren: Die Familienhilfe wird man nur wieder los wenn man entweder sehr gut informiert ist oder einen rechtlichen Beistand hat.

Ich möchte hier nicht die Institution der Familienhilfe generell verteufeln, aber das man mit einem autistischen Kind quasi unter Generalverdacht gerät das in der Familie etwas nicht rund läuft ist schon heftig. Und das in einer Situation in der die Familienhilfe sicher auch keine Experten zum Thema Autismus vorrätig hat. Was soll das bringen? Nochmal im Klartext: Bloß weil man ein Kind mit einer seelischen Behinderung hat und sogar Hilfe für das Kind anfordert um es in der Schule zu unterstützen heißt das nicht, dass man mit dem Kind in der Familie nicht klarkommt und es ihm dort schlecht geht! So kann man natürlich Eltern auch davon abhalten ihr Kind optimal zu fördern. Ein Schelm wer Böses dabei denkt.

Von solchen Fällen abgesehen scheinen wir hier in Hessen uns aber vom Wissenstand über Autismus gesehen doch in der Steinzeit zu befinden.

Bei einer schnellen Recherche zum Thema Autismus in Verbindung mit dem Land Hessen bin ich auf folgendes gestoßen:

Der Flyer zeigt wieder klar: Wenn der Staat mit einem verband zusammenarbeitet ist es Autismus Deutschland. Und die stecken, das haben sie mittlerweile auch selbst erkannt, in einer Zeitschleife. Sie haben sicher in den letzten 30 Jahren eine Menge erreicht für ihre autistischen Kinder. Das sollte man ihnen auch hoch anrechnen. Aber sie sind dort stehen geblieben. Es ist eben einfach nicht mehr Zeitgemäß über Autismus zu reden ohne Autisten zu Wort kommen zu lassen.

Was mich an dem Flyer besonders stört ist der Leitfaden für die Möglichkeit zu Erkennung von Autismus. Genauer gesagt: die Wortwahl dort.

Bizarre Bewegungen

Kein kreatives Spiel

Kein Spiel mit anderen Kindern

Fixierung auf spezielle Themen

Verweigerung von Veränderungen

Keine Angst vor realen Gefahren.

All das ist die Außensicht. Eine Sicht die den Autisten nach der Norm bewertet. Warum Autisten so reagieren kommt hier nicht zu Sprache. Es ist eben die defizitäre Sichtweise die hier zum Tragen kommt. Und das kann in der heutigen Zeit nicht mehr Zeitgemäß sein. Besonders wenn man bedenkt, dass im Rahmen der Inklusion und Unterstützung von Autisten im Bildungsbereich eigentlich die Stärken zählen sollten. Stattdessen herrschen hier das Defizitdenken und ein gewisser Normanspruch vor.

Aber es geht auch noch schlimmer. Auf den Seiten des Landeswohlfahrtsverband Hessen kann man folgendes Interview finden.

Noch bevor wir erfahren mit wem das Interview geführt wurde können wir folgenden Satz lesen:

Autismus: in der eigenen Welt gefangen

Danach erfahren wir, dass das Interview mit der, wohl damaligen, Ärztlichen Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Rheinhöhe geführt wurde.

Es folgt ein Ausschnitt aus dem Buch Rainman von 1989. Ich denke spätestens seit Mitte der 90er  sollte bekannt sein, dass Rain Man eben nicht den typischen Autisten darstellt.

Nachfolgend einige Zitate aus dem Interview, ich lasse sie unkommentiert stehen.

Die Eltern glauben zunächst, ein besonders braves Kind zu haben, das sie getrost auch abends allein lassen können, das keine Probleme macht. Sie merken erst sehr spät, dass dieser „Bravheit“ eine schwere Störung zugrunde liegt.

Bei hochgradig autistischen Kindern muss eine Basisstimulation durchgeführt werden, die Verhaltenstherapie beginnt mit einem Aufmerksamkeitstraining und Herstellen von Blickkontakt.

Nach Beendigung der stationären Therapie, die in schweren Fällen durchaus ein bis zwei Jahre dauern kann, ist die Überleitung in die ambulante Behandlung sehr wichtig. Autisten neigen dazu, in ihrer alten familiären Umgebung wieder in alte Verhaltensweisen zurückzufallen. In schwierigen Fällen sind die Betreuer schon für mehrere Tage mit in die Familie gegangen, damit die neuerworbenen Fähigkeiten nicht sofort wieder in Vergessenheit gerieten.

Es ist wichtig, die Eltern während der ganzen Therapie intensiv zu begleiten, sie mit einzubeziehen und den geänderten Umgang mit ihrem Kind sorgfältig einzuüben. Es ist wichtig, die Eltern aufmerksam zu machen auf örtliche Regionalverbände des Bundesverbandes „Hilfe für das autistische Kind“, Vereinigung zur Förderung autistischer Menschen e. V. (Zentrale: Bebel-Allee 141 in 2000 Hamburg 60)

Anmerkung: An diesem Teil erkenn man wie alt das Interview sein muss. Warum steht das HEUTE noch auf den Internetseiten? Die Umstellung der Postleitzahlen war 1993! Ich könnte wetten, dass der Text nicht seit 1993 im Internet steht.

In dem Film „Rainman“ kehrt der autistische Raymond nach seinem erfolglosen „Ausflug“ in die Welt „Draußen“ zurück in die Psychiatrische Klinik.

Die Nachsorge hängt wesentlich davon ab, wie weit die Eltern fähig sind, sich die fachkundigen Hilfen anzueignen, konsequent und gleichzeitig geduldig bestimmte Leistungen von ihrem Kind zu verlangen, ohne jedoch das Kind zu überfordern und damit seine Lern- und Leistungsfähigkeit zu blockieren. Einen Drehtüreffekt bemerken wir eigentlich nur, wenn die Eltern selber psychopathologisch sehr auffällig gestört sind und sich nicht auf die angebotenen Hilfen einlassen können.

Auch bei überdurchschnittlicher Intelligenz entsprechen die Leistungen autistischer Kinder nicht dem erwarteten Niveau. Sie sind unfähig, den Alltag selbstständig zu bewältigen. Auch können sie eine Gefahr nicht erkennen.

Es gibt sicher noch mehr Stellen die einen aufregen könnten. Das waren nur mal meine Highlights. Das Sahnestückchen folgt aber am Ende des Artikels: Die Literaturempfehlungen bzw. deren Veröffentlichungsdatum. Die empfohlene Literatur ist aus den Jahren 1990, 1989, 1985, 1984 und 1977!

Was für mich nach den letzten 24 Stunden als Fazit bleibt? Hessen ist in der Thematik Autismus nicht nur ein Entwicklungsland, wir leben in der Steinzeit! Was nützen uns die neusten Erkenntnisse und die Tendenz dazu mehr die Autisten selbst zu befragen, wenn wir nicht gefragt werden und im modernen Internet Texte  auftauchen die längst überholt sind aber dank einem Template das Copyright von 2014 tragen?

Ich lasse mal den hessischen Bildungsserver etwas zum Thema Autismus sagen:

Autismus ist nicht mehr sichtbar!

Autismus ist nicht mehr sichtbar!

Das Zeitfenster ist geschlossen, seit dem 12.05.2014 ist Autismus in meinem Bundesland nicht mehr verfügbar.

Ich lebe wirklich in einem „Neuland“ vor unserer Zeit!