Tag 1 nach der Bundestagung. Mir geht es schlecht. Deshalb ausnahmsweise mal ein Blogpost der wohl mehr Tagebucheintrag als Information über Autismus ist. Eigentlich sollte ich das hier gar nicht schreiben. Ich weiß das der eine oder andere von der Bundestagung das lesen könnte und ich bin mir auch im Klaren: Das hier passt nicht zum engagierten Autisten der freiberuflich Weiterbildungen über Autismus halten möchte. Aber das bin nun einmal ich. Ich kann es nicht ändern wenn mich deshalb der eine oder die andere nicht als Referent oder Dozent bucht.

Das vieles zu viel war merkte ich ja schon gestern und brach deshalb vorzeitig die Bundestagung für mich ab. Wie mies es mir wirklich ging merkte ich wohl erst im Zug. Jedes Geräusch um mich herum hämmerte auf mich ein und verursachte Schmerzen. Hinter mir saß eine Therapeutin die laut telefonierte und es war nicht zu überhören das sie auch von der Bundestagung kommt. Der Mann vor mir hatte einfach keinen Anstand. Wollte sich schon beim Einsteigen vordrängeln und warf mich fast um. Der Grund war erkennbar: Er hatte keine Platzreservierung und pflanzte sich erst einmal auf einen für schwerbehinderte Menschen reservierten Platz. Ich wünschte mir die ganze lange Zugfahrt nichts anderes als einfach nur nach Hause zu kommen. Zeitweise starrte ich schon leer auf die Digitalanzeige um zu sehen wie langsam die Minuten vorbeigingen und wie langsam dieser ICE doch fuhr. 120 km/h sind auf dieser Strecke viel. Da saß ich nun und hatte den zweiten heftigen Meltdown innerhalb weniger Wochen. Und ich litt, nach Frau Preißmann eher typisch für weibliche Autisten, still und leise vor mich hin. Reden konnte ich schon lange nicht mehr. Meltdown passt übrigens im übertragenen Sinne mehrfach auf meine jetzige Situation:

Der standhafte und positive Autist in mir ist in den letzten Tagen geschmolzen. Mit ihm Hoffnung und Perspektiven. Ich wollte mich vernetzen, etwas bewegen. Stattdessen komme ich völlig fertig und gelähmt zurück.

Den Anfang machte der philosophisch ausgerichtete Vortrag über Moral und Autismus. Ich fühlte mich abgewertet weil man hinterfragte ob Autisten moralfähig sind. Um das zu erklären: Alleine das man sich die Frage stellt hatte für mich die Außenwirkung als könnte es sein, dass Autisten wirklich unmoralisch sind bzw. keine Moral haben könnten. Das ist einfach verletzend. Ich bin aufgrund dieser Behinderung kein schlechterer Mensch und auch keiner bei dem man annehmen müsste er sei es evtl. Ich bin ich und möchte nicht anhand meiner Behinderung sondern meines Handelns bewertet werden. Hier hätte ich wohl die Notbremse ziehen müssen. Die Situation brachte mich zu einem inneren Kampf. Der Kampf gegen den Drang sich selbst zu verletzen. Mit dem Kopf an die nächste Wand zu schlagen. Die Vernunft siegte zu Glück. Was aber blieb: Das Bewusstsein an welche Grenze ich alleine durch so einen Vortrag gekommen bin. Und das Bewusstsein das ich es nicht schaffe auf die Aussteller zuzugehen und mich zu vernetzen.

Zum ABA Vortrag habe ich ja gebloggt. Ich bin zu empathisch. Videos von autistischen Kindern zu sehen die militärisch angeschrien werden, denen man Befehle immer wieder gibt und gleichzeitig abspricht Intelligent zu sein. Zeig Boden! Zeig Gardine! Wasser wo? Diese Kälte die man zum „Wohle“ des Kindes anwendet tut weh. Das Reduzieren auf Sätze die nach deutscher Grammatik nicht einmal vollständige Sätze sind. Und zeitgleich dann Therapeuten auf der Bühne die ABA als positiv bezeichnen und sich freuen welche „Erfolge“ sie damit erreichen können. Menschen die man liebt behandelt man nicht so. Und auch Tiere, die im Allgemeinen in unserer Gesellschaft ja als weniger Wert angesehen werden, haben das nicht verdient. Lebewesen werden mit so einem Verhalten zu willenlosen Gegenständen degradiert. Was fehlt ist eines: Liebe! Den letzten Rest gab mir dann der Prozess der Löschung. Nüchtern betrachtet ist es schon ein Unding das man menschliches Verhalten löschen möchte. Man greift damit in die Persönlichkeit des Menschen ein, man manipuliert ihn. Praktisch ist die Löschung unter ABA eine knallharte Strafe. Kälte die sogar den Eltern weh tut die sie aber trotzdem für das höhere Ziel durchziehen. Mich hat dieser Vortrag gebrochen. Der Applaus für das was da gezeigt wurde waren Pfeile in meine Seele. Ein ganzer Saal (mit ca 360 Sitzen) war fasziniert von dem was da gesagt wurde. Man lachte sogar über die Lovass Demonstration der Referenten. Ich fand sie einfach nur Menschenunwürdig. Meinen Glauben an das Gute im Menschen wurde nachhaltig beschädigt. Ich ging als anderer Mensch aus diesem Vortrag heraus. Vor allem war ich eines: einsam. Der Autist in mir weinte, krümmte sich zusammen und wünschte sich nur eines: Es sollte aufhören.

Es hörte nicht auf. Es hatte gerade erst begonnen. Man mag es für Irrsinn halten, aber mein Verstand fing an sich auf ABA ähnliche Gedanken zu reduzieren. Zimmer? Da! Such Bett! Frühstück wo?

Es kam Tag 3 und mit ihm der finale Schlag gegen den Autisten in mir. Wahrscheinlich muss ich mich schämen dass ich in einer Autismusfachambulanz einer Uniklinik meine Diagnose bekommen habe. Ich bin hochbegabt, habe 35 Jahre lang kompensiert und auch heute glaubt niemand auf den ersten Blick dass ich Autist bin. Das könnte einem ja egal sein, wenn man aber in einem Vortrag gesagt bekommt das man damit quasi eine sehr wahrscheinlich nicht valide Diagnose bekommen hat tut weh. Nicht weil ich an meinem Autismus Zweifel. Dafür ist er zu stark und wird gerade noch viel intensiver. Nein, es tut weh weil man indirekt daran schuld ist das zum einen die Anlaufstellen überlaufen sind und den Menschen die „wirklich“ Hilfe benötigen die Ressourcen wegnimmt. Frau Kamp-Becker hat in Ihrem Vortrag ausgeführt welche emotionalen Folgen eine falsch positive und auch falsch negative Diagnose haben kann. Was sie nicht bedacht hat: Welche emotionalen und psychischen Folgen ihr Vortrag bei Autisten (valide oder nicht)haben kann.

Der Autist in mir verstummt, will nicht reden und kann nicht klar denken. Er rollt sich zusammen und trauert. Er fühlt sich schuldig. Ich funktioniere nicht mehr. Und vor allem: Aus einem Menschen dem man rein äußerlich seinen Autismus kaum ansieht ist ein Mensch geworden der stärkste autistische Züge – sorry Frau Kamp-Becker sie mögen das Wort ja nicht-  zeigt. Mir geht es mies.

In drei Tagen soll ich wieder vor Menschen stehen und ganz selbstbewusst über die Vorteile der autistischen Wahrnehmung vortragen. Soll Perspektiven aufzeigen und aufklären. Nach außen. Eine Herzensangelegenheit für mich, sogar meine Berufung wie ich die letzten Monate glaubte. Aber Herzensangelegenheiten sind nicht leicht zu kommunizieren wenn das Herz am Boden liegt.

Der Autist in mir: Ist gebrochen. Ist verstummt. Ist nicht mehr der der er vor der Bundestagung in Dresden war.